Wir leben in der Zeit der
Erinnerungen an die vor hundert Jahren auf Deutschland und nicht zum
wenigsten auf unserem Ländchen lastende Franzosenzeit, und da möchte
es angebracht sein, des Mannes zu gedenken, der damals mit an der
Spitze Lauenburgs stand und an der Leitung desselben in den
schwierigsten Verhältnissen einen hervoragenden Anteil nahm, nämlich
des Etats- und Regierungsrates Johann Martin Christian Gottschalk.
Seine mannigfaltige Tätigkeit als Beamter in verschiedener Herren
Diensten gibt uns zugleich ein anschaulichesBild von dem wechselnden
Geschicke Lauenburgs, das von Hand zu Hand gespielt und nacheinander
von französischen, schwedischen, russischen, preußischen und dann
wieder von französischen Truppen besetzt wurde. Ende des Jahres
1810 wurde es dann ein kleines Glied des grand
empire, und 1814 brachte es die Diplomatie auf
dem Wiener Kongreß in dänische Hände. Im folgenden sollen, zum
großen Teil nach Aufzeichnungen über das Leben Gottschalks 1),
seine Schicksale bis zum Jahre 1815 erzählt und daran
anschließend ein Bild der damaligen Verhältnisse in Lauenburg
entworfen werden. Gottschalk ist geboren am 15.
November 1772 in Bösenrode, einem Pfarrdorfe in der
hannoverschen Grafschaft Hohenstein im Harz. Bei den ärmlichen
____________________
1) Der Ursprung dieser Auzeichnungen ist nicht ganz klar.
Der Hinweisauf eine Selbstbiographie, die sich an einer Stelle
findet, zeigt, daß wir es nicht mit unmittelbaren Aufzeichnungen
Gottschalks zu tun haben.
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Verhältnissen, in denen seine Eltern lebten, die durch eine große
Kinderzahl noch drückender wurden, mußte sich die Erziehung dieses
ältesten Sohnes darauf beschränken, daß er in einer gewöhnlichen
Landschule den ersten Unterricht erhielt. Der Verwendung des
Ortspredigers, der den gut begabten Knaben lieb gewonnen hatte, war
es zu danken, daß er gegen den anfänglichen Wunsch des Vaters, der
ihn Kaufmann werden lassen wollte, zuerst die lateinische Schule in
Stollberg am Harz und dann von 1788 an das Gymnasium
zu Quedlinburg besuchen durfte. Michaelis 1791 bezog
er die Universität Jena, um da die Rechtswissenschaft zu studieren,
vertauschte diese aber schon nach einem halben Jahre mit Leipzig,
weil sein Vater hoffte hier durch Stipendien eine Erleichterung
seiner Ausgaben für ihn zu erlangen. Diese Hoffnung schlug bei der
großen Zahl der Bewerber fehl, und so mußte sich der junge
Gottschalk außerordentlich einschränken und hatte nur wenig Verkehr
mit anderen Studenten. Da er in Stollberg und in
Schwarzburg-Sondershausen, wohin er sich zuerst gewandt hatte, keine
Aussicht hatte nach Verlassen der Universität angestellt zu werden,
so begab er sich in seine Heimat, die Grafschaft Hohenstein, zurück
und wurde da Advokat. Um aber in die damals weit besser lohnende
Beamtenkarriere eintreten zu können, suchte er bei dem Königlichen
und Kurfürstlichen Oberappelationsgericht zu Celle um die Abhaltung
des juristischen Examens nach und bestand dieses im Jahre 1800
mit sehr glänzendem Erfolge.
Nach bestandener Prüfung kehrte er nach Neustadt unter dem
Hohenstein zurück und meldete sich zu einer dort frei gewordenen
Justizbeamtenstelle, erhielt sie aber nicht, obwohl er als der
einzige junge Jurist, der in Hohenstein geboren war, Ansprüche
darauf zu haben glaubte. In seiner über diesen Mißerfolg sehr
getrübten Stimmung erhielt Gottschalk von dem Amtmann von der Horst,
der von Neustadt unter dem Hohenstein nach Blekede an der Niederelbe
versetzt war, einen Brief, worin dieser ihm meldete, daß die
Bürgerschaft des Städtchens
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Blekede auf seine Empfehlung hin ihn zum Bürgermeister gewählt habe,
daß diese Stelle zwar nur etwas über dreihundert Thaler einbringe,
daß es ihm aber nicht fehlen würde, mehrere von dem bisherigen
Bürgermeister verwaltete Justiziarate (d.h. Stellen als
Gerichtsverwalter in benachbarten Gutsbezirken) und daneben eine
gute Praxis als Advokat zu bekommen.
Gottschalk trat dieses Amt im Februar 1801 an und
Wurde sogleich Justiziar von sechs verschiedenen Gütern. Auch
erhielt er eine so ausgebreitete Advokatur, daß er ihr kaum
vorstehen konnte. Aber nur zwei Jahre sollte er sich dieses
ungestörten Berufslebens erfreuen. Als die Franzosen 1803
Hannover besetzten, überschwemmten sie auch die Elbgegend, und die
am 5. Juli desselben Jahres abgeschlossene Konvention
von Artlenburg hatte die Auflösung der hannoverschen Truppen zur
Folge. Zu dieser Zeit der Unruhe und Unsicherheit leistete
Gottschalk nicht allein Blekede, sondern auch der ganzen Umgegend
sehr wesentliche Dienste, indem er eine große Gewandtheit in der
französischen Sprache besaß.
Im Jahre 1806 starb der Landsyndikus Walter in
Ratzeburg, und am 13. August wurde Gottschalk sein
Nachfolger. Am 12. September erhielt er durch ein
Reskript aus Hannover seine Entlassung als Bürgermeister. von nun an
blieb Gottschalk bis zu seinem Tode eng verpflochten mit den
wechselnden und anfangs überaus traurigen Schicksalen uuseres
Ländchens. In seinem Gesuch an das Landratskollegium Lauenburgs vom
10. August 1806 weist er auf das
Vertrauen hin, das er fünf Jahre lang als Bürgermeister und Advokat
in Blekede genossen hat. Unter den von ihm verwalteten Gerichten
waren auch die in zwei lauenburgischen adligen Gutsbezirken, nämlich
in Preten und Lüdersburg 1), und so ist ihm die
Verfassung des Herzogtums nicht ganz fremd geblieben. Am 13.
August 1806 erhielt er seine
____________________
1) S. Manecke, topographisch-histor. Beschreibung des
Herzogtums Lauenburg S. 73 über Preten und S.
100 über Lüdersburg.
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Bestallung als Landsyndikus. Sein Vorgänger als solcher, Walter,
hatte daneben noch die Stelle eines Königlichen Stadtkommissars in
Ratzeburg verwaltet, und deshalb richtete Gottschalk an die
Hochlöbliche Ritter- und Landschaft am 27. August
1806 die ehrerbietigste Vorstellung ihm zu erlauben, auch
um jene Stellung nachsuchen zu dürfen. Wenn sein Vorgänger, der ein
anerkannt rechtschaffener Mann war, beide Posten miteinander
vereinigen konnte, so würde es auch ihm gewiß keine Unmöglichkeit
sein, seine Pflichten mit derselben Integrität zu erfüllen. Für den
Fall einer etwaigen künftigen Kollision zwischen dem Corpus der
Ritter- und Landschaft an einer und der Stadt Ratzeburg an der
anderen Seite würde er sich gerne verbindlich machen zu veranlassen,
daß der Stadt Ratzeburg auf seine Kosten ein anderer Vertreter
zugeordnet würde, und für eine solche Einrichtung würde er bei der
Königlichen Regierung im voraus um die Genehmigung bitten. Auch
würde er, wenn die Ritter- und Landschaft die Verbindung beider
Funktionen für nachteilig für ihre Interessen halten sollte, sich
anheischig machen, sofort, wenn es verlangt würde, und mit Entsagung
jeder Widerrede auf das Stadtkommissariat zu verzichten. Am 22.
November wurde auf Grund dieser von Gottschalk vorgeschlagenen
Bedingungen in der Regierungskanzlei zu Ratzeburg die Ernennung zum
Stadtkommissar beschlossen, nachdem ihm die Geschäfte interimistisch
schon am 8. November übertragen waren. Diese
vorläufige Übertragung der Geschäfte war, wie ausdrücklich
hervorgehoben wird, veranlaßt durch die "jetzigen, unglücklichen
Zeiten, von denen besonders diese Stadt mitbetroffen ist," und damit
kommen wir auf die damaligen politischen Verhältnisse.
Nach den so überaus schimpflichen Kapitulationen von Sulingen und
Artlenburg im Jahre 1803 hatten die Franzosen
bekanntlich Hannover und Lauenburg besetzt. Als aber Napoleon
1805 gegen Österreich und Rußland ins Feld zog, erhielt der
Marschall Bernadotte,
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dem die Verwaltung jener Länder übertragen war, den Befehl sein Heer
an der südlichen Grenze Hannovers zu vereinigen und von da nach
Süddeutschland Napoleon zu Hülfe zu ziehen. So verließen am 8.
September die letzten Franzosen das Lauenburgische Gebiet, nachdem
sie zwei Jahre, zwei und einen halben Monat da gehaust hatten. Am
5. Oktober aber landeten Russen und Schweden, und im
November besetzten die ersteren Ratzeburg und Mölln. Da bald darauf
auch die Schweden in das Land einrückten, so wurde dieses wieder
eine Zeit lang von schwerer Einquartierung heimgesucht. Inzwischen
hatte Napoleon an Preußen Hannover und Lauenburg abgetreten, aber
die Schweden suchten das letztere im Namen ihres Verbündeten, des
Königs von England, gegen Preußen zu behaupten, mußten aber, als
preußische Truppen unter dem Oberst von Beeren einrückten, vor der
Übermacht zurückweichen. Der preußische Befehlshaber besetzte
Ratzeburg, und einige Monate stand das Land mit Hannover zusammen
unter der Administration des Herrn von Ingersleben, der die Wunden,
welche die erste französische Okkupation dem Lande geschlagen hatte,
zu heilen suchte 1).
Als das preußische Heer Lauenburg verließ, besetzten, und dieses Mal
nach einer Übereinkunft mit Preußen, die Schweden zum zweiten Male
das Land, und unter deren Schutze wurde die alte Regierung
wiederhergestellt und die preußischen Adler abgenommen.
Die Doppelschlacht bei Jena und Auerstädt machte der preußischen
Herrschaft in Lauenburg ein Ende. von den Folgen dieser Katastrophe
wurde auch unser Ländchen, wenn auch vorübergehend, so doch in
schrecklicher Weise betroffen. Blücher hatte sich bekanntlich durch
einen Zug nach Mecklenburg der schimpflichen Kapitulation von
Prenzlau entzogen und suchte Lübeck und die Ostsee zu gewinnen, um
womöglich auf englischen Schiffen zu
____________________
1) S. Thimme, die inneren Zustände des Kurfürstentums
Hannover unter französisch-westfälischer Herrschaft I,
183. Auf dieses überaus gründliche Werk wird im
folgenden öfters verwiesen werden.
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entkommen. Ihm waren überlegene französische Heere auf den Fersen
und besetzten nach einem kurzen Widerstande der flüchtenden Preußen
auch Ratzeburg. Die kleine Stadt hatte vom 8. bis
10. November allein 11400 Mann zu
verpflegen, das Amt Ratzeburg durchzogen an einem Tage an die
50000 Mann, und da für die Verpflegung in keiner Weise Sorge
getragen war, so waren natürlich bald die Vorräte der Bewohner
aufgezehrt, und es brach eine Plünderung herein, die nach den
Berichten der Lauenburgischen Behörden allen Glauben überstieg. Der
Schaden, der dadurch erwuchs, belief sich allein im Amte Ratzeburg
auf mehr als 100000 Thaler.
Über diese schrecklichen Tage finden wir in Gottschalks
Lebensbeschreibung folgendes: „Die Spuren dieses Heereszuges glichen
denen eines verwüstenden Kometen, und diese Katastrophe war für ihn
selbst mit so vielen Leiden und Anstrengungen verknüpft, daß die
Erhaltung seines Lebens und seiner Gesundheit nur als ein Wunder der
günstigen Fügung der Vorsehung angesehen werden mußte. Als
Landsyndikus war Gottschalk zugleich Mitglied der Lauenburgischen
Landschaftlichen Deputation. Diese Behörde hatte unter Direktion des
allgemeinen Landesdeputationskollegiums in Hannover alle
Verwaltungszweige der Provinz zu besorgen, welche in Beziehung auf
den Okkupationszustand und auf die Bedürfnisse der Okkupationsarmee
stehen konnten. Die Kriegsereignisse hatten die Verbindung mit
Hannover und den dortigen Behörden völlig zerstört, und Gottschalk
war überdies das einzige in Ratzeburg zurückgebliebene Mitglied der
Landschaftlichen Deputation, indem die beiden anderen Mitglieder,
der Landmarschall von Bülow und der Graf von Kielmannsegge, sich auf
ihren Gütern befanden und bei der Unsicherheit der Wege, die durch
die miteinander kämpfenden Heere entstanden war, nicht nach
Ratzeburg kommen konnten. Alle Ansprüche der Militärbehörden und
ihre Requisitionen, sowie alle Reklamationen der Einwohner, welche
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sich auf Einquartierung, auf TruppenVerpflegung, Kriegsfuhren u.s.w.
bezogen, drängten auf Gottschalk ein. Unter beständigen persönlichen
Konferenzen mit der Lauenburgischen Regierung befriedigte er die
Requisitionen, soweit sie durch Verwendung an die höchste
Militärbehörde nicht abgewendet werden konnten. Um den großen Druck
der ganzen verheerten Gegend noch möglichst zu mindern, reiste
Gottschalk persönlich mit dem Regierungsrat Böhmer am 8.
November durch die Armee und ihre blutigen Spuren von der Schlacht
bei Lübeck zu dem Marschall Bernadotte, bei dem es diesen beiden
Männern gelang, ein Geschenk von einer Partie eroberten Mehles zur
Verhinderung einer Hungersnot in ihrer Gegend und eine schonende
Verteilung der rückmarschierenden Truppen zu erlangen."
Am 5. Dezember wurde die geschehene Anstellung und
Beeidigung des Landsyndikus Gottschalk zum Ratzeburgischen
Stadtkommissar und edenklich genehmigt. „Das Hannoversche
Kammerkollegium ist requiriert wegen Auszahlung der bei dieser
Bedienung vermachten jährlichen Besoldung von einhundert Thalern das
Nötige zu verfügen. Hannover, den 5. December
1806. Regierungskollegium. Aus dem Lauenburgischen
Departement. An die Sachsen-Lauenburgische Regierung." Am 13.
Dezember wird dieses Schreiben Gottschalk mitgeteilt von der
Lauenburgischen Regierung, unterzeichnet C. Hake.
„Gottschalks Verfahren in jenen kritischen Tagen im Anfang November
wurde von den am 15. Dezember versammelten Landständen
ganz gebilligt und ihm zum Beweise der Zufriedenheit und Dankbarkeit
der durch die Plünderung erlittene Verlust eines Reitpferdes
ersetzt. So ermunternd diese Anerkennung seiner Verdienste auch war,
so sehr wurde sein Amt ihm dadurch erschwert, daß das Hannoversche
Landesdeputationskollegium ohne anschauliche Kenntnisse des
verwüsteten Zustandes der Lauenburgischen Provinz von der selben
ihrer Erschöpfung ungeachtet die fortwährende Konkurrenz zu den
allgemeinen Kriegslasten, insonderheit zu den Lieferungen, ver-
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langte. Nur mit Mühe gelang es Gottschalk einige Quartalquoten von
seiner erschöpften Provinz abzuwenden.
Gottschalks Schicksal war mit dem des Herzogtums eng verwebt. Als
Napoleon nach der Schlacht bei Jena allen eroberten Ländern, wozu er
auch das Kurfürstentum Hannover rechnete, eine große
Kriegskontribution auferlegte und das Landesdeputationskollegium
dagegen beim Kaiser, zu Berlin und Warschau Gegenvorstellungen
machte, löste er durch einen Befehl vom 17. September
1807 das Kollegium, sowie alle einzelnen
Provinziallandstände auf, womit Gottschalks Verhältnis als Mitglied
des Landesdeputationskollegiums und als Landsyndikus auch aufhörte.
An die Stelle des Landesdeputationskollegiums setzte der französiche
Kaiser eine Gouvernementskommission in Hannover nieder, welche den
selben Geschäftskreis wie jenes Kollegium erhielt, nur daß sie nicht
beraten, sondern bloß gehorchen sollte. An die Stelle der
aufgehobenen Provinziallandschaftlichen Kollegien trat in jeder
Provinz ein Subdelegierter, wozu für Lauenburg Gottschalk ernannt
wurde. In diesem für ihn sehr drückenden und seine Gefühle
verletzenden Verhältnisse, in welchem die höheren harten Befehle
durch Ausschreiben extraordinärer Kriegssteuern und der gezwungenen
Anleihe vollzogen werden mußten, konnte ihn nur das Bewußt sein
aufrecht erhatten, daß er zu mildern suchte, wo es irgend möglich
war, und er ertrug öfter Verweise der Gouvernementskommission,
welche seinen Schilderungen von dem erschöpften Zustande seiner
Provinz keinen Glauben beimessen wollte, mit ebenso viel
Gelassenheit als die Verkennung mancher seiner Landsleute, die ohne
alle Sach- und Lagekenntnis in dem Irrwahn standen, daß ihnen noch
mehr Schonung angedeihen könnte. Aber zu seiner großen Beruhigung
diente ihm, daß verständige und angesehene Männer keinen einzigen
seiner Schritte tadelten und ihn durch freundschaftlichen Zuspruch
aufzurichten suchten."
So schildert Gottschalk selbst in bescheidener Weise seine
aufopfernde Tätigkeit für Lauenburg. Wir können
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diese aber nur dann würdigen, wenn wir die Lasten im einzelnen
kennen lernen, die damals dem Herzogtum in Verbindung mit Hannover
aufgebürdet wurden.
Während der ersten Okkupation der Franzosen hatten sich die Schulden
der hannoverschen Stände um ungefähr fünf Millionen Taler vermehrt;
teils waren dieses gemeinsame Schulden, teils Partikularschulden.
Auf Lauenburg kamen als gemeinschaftliche Schulden 43 479,
als Partikularschulden 57 635 Taler 1).
Noch drückender war die zweite Okkupation. Vom 1.
Dezember 1806 an mußten von dem Lande wöchentlich
300 000 Franks Kriegssteuer bezahlt werden, außerdem
mußten die vielen dort liegenden französischen Truppen beköstigt und
erhalten werden. Auf die etwa fällige Besoldung der Staatsdiener
durfte dieser Kriegssteuer wegen nur eine Abschlagszahlung geleistet
werden und zwar nicht an alle Beamte, sondern nur an die, welche
dessen dringend bedürftig waren. Dazu kam noch eine große
französische Zwangsanleihe. In einem Schreiben des Intendanten
Belleville wurde die feste Erwartung ausgesprochen, daß sich mit
Freuden 500 bis 600 der wohlhabendsten
Einwohner dazu bereit finden lassen würden, das Geld vorzustrecken.
In jedem Monat sollten ein halbes Jahr hindurch 500 000
Franks an die Kammerkasse bezahlt werden.
Bis Ende Juli 1807 beliefen sich die französischen
Forderungen auf 16 890 721 Franks. Als das
Landesdeputationskollegium sich weigerte diese Summe einzuziehen,
wurde es auf Napoleons Befehl aufgehoben, und fünf Mitglieder wurden
gefangen gesetzt. Die an ihre Stelle tretenden Subdelegierten mußten
die 2000 Höchstbesteuerten aufzählen, deren in
Lauenburg 112 waren. Diese auszusuchen war eine
schwere und peinliche Sache, und wir können die oben angeführten
Klagen Gottschalks wohl verstehen. Vor allem war es schwer
____________________
1) S. zu diesem und dem folgenden Thimme a. a. O. I
102, 214, 230 ff.
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in Hinsicht auf die Exemten 1) und die der
Jurisdiktion der Beamten nicht unterworfenen Personen. Der Intendant
Belleville nahm aber keine Rücksicht darauf, und am 25.
Dezember 1807 erfolgte als ein sehr unangenehmes
Weihnachtsgeschenk das berüchtige Ausschreiben, es müßten auf jeden
Fall 13 Millionen Franks aufgebracht werden, davon
10 Millionen durch eine Zwangsanleihe. Diese müßte in
drei Terminen von 20 zu 20 Tagen
entrichtet werden. Wenn nach Ablauf des ersten Termins das erste
Drittel nicht bezahlt sei, so werde dem Säumigen ein aus wenigstens
vier Soldaten und einem Unteroffizier bestehendes Exekutionskommando
eingelegt werden. Jedem der Soldaten seien vom Hauswirte täglich ein
Taler, dem Unteroffizier aber zwei Taler zu zahlen. Wenn diese
Maßregel binnen zwanzig Tagen keinen Erfolg habe, dann solle der
Eigentümer aus seinem Hause vertrieben und das Mobiliar,
erforderlichenfalls auch die Immobilien, versteigert werden. Bei dem
Minimalansatz von 1000 Franks blieb Belleville
keineswegs stehen. In Lauenburg allein waren 20 Adlige
mit 172000 Franks, also durchschnittlich mit 8
600 Fr. angesetzt. Im ganzen mußten hier ungefähr 110
Personen an der Anleihe teilnehmen. Naturgemäß konnte trotz aller
Zwangsmaßregel bei den seit vier bis fünf Jahren getragenen
Kriegslasten, bei der Suspension der Besoldungen, Pensionen und
Zinsen und dem gänzlich mangelnden Kredit die erforderliche Summe
nicht eingetrieben werden. Nicht einmal die zum zweiten Termin
fälligen Gelder gingen ein, und so mußte einer ganzen Anzahl
nachweisbar Zahlungsunfähiger die Bezahlung des zweiten Termins ganz
oder teilweise erlassen werden. In der Stadt Hannover wurde übrigens
bei zehn Personen militärische Exekution verhängt.
Um nun auf Gottschalk zurückzukommen, so sehen wir aus seinen Akten,
daß er am 2. Oktober 1807 seine Wahl zum
Subdelegierten dem Lauenburgischen Landratskollegium mitteilte. Am
15. Oktober danken ihm die
____________________
1) D. h. die bisher von Steuern Befreiten.
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Landschaftsräte von Schrader, von Kielmannsegge, von Buchwald und
von Bülow dafür. Es heißt in ihrem Schreiben: „Diese Wahl kann bei
den damaligen Zeitumständen nicht anders als angenehm sein, da die
Anhänglichkeit Gottschalks an das Land genug bewährt ist, wie auch
sein Bestreben, zur Erleichterung desselben beizutragen." Von den
finanziellen Notständen der Beamten, wie ich sie eben angedeutet
habe, zeugt eine im Konzept erhaltene Eingabe Gottschalks vom
27. Februar 1808, betreffend die Auszahlung
seines Gehaltes, auch die gnädige Bewilligung einiger Faden
Brennholz. Trotz seiner Tätigkeit in der Schreckenszeit, wo er mit
Aufopferung seiner Gesundheit Tag und Nacht zum Besten der Stadt
tätig gewesen, ist ihm keine andere Belohnung zuteil geworden als
die, welche ihm sein Bewußtsein gewährt, und er macht auch keine
äußeren Ansprüche. Indessen hat er auch nicht sein jährliches
Salarium von hundert Talern, welches das hohe Landeskollegium seinem
Vorgänger gewöhnlich aus der Ratzeburgischen Amtskasse hat auszahlen
lassen, erhalten. Um so dringender bittet er darum, als wegen der
Zeitumstände ihm kaum die Hälfte seiner ehemaligen Einkünfte
geblieben ist. Die Accidenzien schlug sein Vorgänger auf sechzig
Taler an. Sie sind aber so gering, daß er sie garnicht zu berechnen
weiß. Die Geschäfte hingegen stehen zu seinen Einkünften im
umgekehrten Verhältnis. Indessen wagt er mit einem Gesuche um
Verbesserung seines Gehaltes in den jetzigen Zeiten nicht
hervorzutreten. Nur um die Bewilligung einiger Faden Brennholz
glaubt er ehrerbietigst bitten zu dürfen und schmeichelt sich mit
der Hoffnung einer gnädigen Erhörung dieses Gesuches.
Am 4. Oktober 1809 wird von dem
Regierungskollegium in Hannover das wiederholte Gesuch Gottschalks
um Auszahlung seines Gehaltes der hochlöblichen Kommission des
Gouvernements angelegentlichst empfohlen. Ob er es aber wirklich
bekommen hat, ist aus den erhaltenen Papieren nicht zu ersetzen.
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Mit dem Jahre 1810 beginnt dann eilt neuer wichtiger
Abschnitt in der Geschichte Lauenburgs, der auch für Gottschalk von
der größten Bedeutung werden sollte. Am 14. Januar d.
J. wurde von dem französischen Minister Champigny der Vertrag über
die Vereinigung Hannovers mit Westfalen abgeschlossen, jedoch sollte
ein noch näher zu bezeichnendes Gebiet von höchstens 15000
Einwohnern ausgenommen sein. Der König Jerome war natürlich anfangs
sehr glücklich über diese Vergrößerung seines Landes und
insbesondere auch seiner persönlichen Einkünfte, aber als er durch
seinen nach Hannover geschickten Staatsrat Malchus von der Schulden-
und Militärlast hörte, die seit 1803 auf dem Lande
ruhte und die sich beiläufig nach der ersten Berechnung auf 60
Millionen Franks beiief, da trat in Kassel große Mißstimmung ein.
Diese wurde noch verschärft, als der französische Gesandte in
Kassel, Reinhard, der von Napoleon mit der Übergabe Hannovers an die
Lauenburgische Regierung beauftragt war, mit der Mitteilung
hervortrat, der Kaiser wolle das ganze Herzogtum Lauenburg von der
Übergabe ausgeschlossen haben, denn diese Forderung ging weit über
das hinaus, was er sich ursprünglich vorbehalten hatte. Lauenburg
zählte nämlich nicht 15 000 Einwohner, sondern über
30 000.
Indessen hatte Napoleon im März des Jahres 1810 noch
nicht die Absicht ganz Lauenburg dem Könige zu entziehen; dazu ist
er erst gebracht durch den Domänendirektor d'Aubignosc, einen
abgesagten Feind des westfälischen Gouvernements 1).
Dieser begab sich auf die Nachricht, daß der Kaiser sich Lauenburg
reserviert habe,
___________________
1) In "Rist's Erinnerungen, herausgegeben von Poel"
lesen wir II, 84 über d'Aubignosc: SAus
der Erbschaft des Kurfürsten von Hannover war dem französischen
Reiche auch das kleine überelbische Herzogtum Lauenburg zugefallen,
das seit 1803 wie eine der fremden Domänen desselben
verwaltet wurde. Dort befand sich als kaiserlicher Intentant seit
1806 Herr d'Aubignosc, ein freundlicher, wohlgesinnter
und stattlicher, dabei gewandter und rühriger Mann, dem es doch an
höherer Bildung, wie an tieferen Grundsätzen fehlen mochte. Beide
ersetzte einigermaßen ein glückliches Naturell. Er wohnte auf dem
alten Schlosse wie ein kleiner König, verwaltete das Land mit
Billigkeit und
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schleunigst dorthin, requirierte von dem General Morand in Hamburg
Militär und setzte in Lauenburg eine Regierungskommission ein, die
aus dem Amtmann Hornbostel, dem Oberforstmeister von Düring, dem
EIbzolldirektor Meher und dem französischen Domänenhauptagenten
Laurent 2) bestand. Diese wurde angewiesen, alle Eingriffe der
westfälischen Behörden energisch zurückzuweisen. In der Tat hatte
Gottschalk schon von dem Generalgouverneur Lafalcette in Hannover
eine Proklamation erhalten, in der Jerome seine neuen Untertanen
in Lauenburg begrüßte. Erst Ende März beauftragte die Regierung in
Hannover Gottschalk, die Obrigkeiten des Landes davon in Kenntnis zu
setzen, daß bei der am 14. März erfolgten Übergabe Hannovers an
Jerome Lauenburg provisorisch dem Kaiser reserviert und von der
Besitznahme ausgeschlossen sei.
So wurde durch das schnelle, energische Handeln d'Aubignoscs ganz
Lauenburg Jerome entzogen, und am 23. März publizierte er als
kaiserlicher Kommissar und Generaldirektor der außerordentlichen
Domänen, daß die Administration der liegenden Gründe, Renten und
anderen Gefälle im Lauenburgischen vom 25. März 1810 an einer
[sic!] speziellen Kommission übertragen werden sottte, die ihren Sitz in
Lauenburg hatte. Die Mitglieder derselben sind schon oben genannt,
doch trat an Stelle des durch sein Alter verhinderten Amtmanns
Hornbostel der Landsyndikus und Subdelegierte Gottschalk. Übrigens
hätte der Verlust Lauenburgs fast dazu geführt, daß Jerome sich
weigerte ganz Hannover anzunehmen. Nur die Rücksicht auf die
Erhöhung seiner Zivilliste und seine persönliche Eitelkeit sollen
ihn dazu bewogen haben,
___________________
nach dem Rate geprüfter Beamten, die er in allem gern hörte. Das
gutmütige Volk, die schönen Waldungen, die unabhängige,
abgerundete Existenz behagten ihm. - Übrigens hatte d'Aubignosc
seinen Wohnsitz bis 1810 in Hannoner und dann in Hamburg.
Dort war
er Domänendirektor und hier Chef der Polizei.
2) Dieser war Gouvernementskommissar. S. Sander,
Archiv III, 334 das Nähere über die ersten
Anordnungen d'Aubignosc's. Der
Amtmann Compe fehlt hier.
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am 11. März das Protokoll der Übergabe des Landes zu unterzeichnen.
So trat ein provisorischer Zustand für Lauenburg ein, der in der
Biographie Gottschalks mit folgenden Worten geschildert wird : „Als
im Jahre 1810 Hannover dem Königreiche Westfalen einverleibt wurde,
reservierte sich Napoleon das Herzogtum Lauenburg, erklärte es für
eine extraordinäre Krondomäne und setzte zu Lauenburg eine
Administrationskommission nieder, zu deren Mitgliedern der Oberforstmeister von Düring, der
Zollinspektor Meyer, Landsyndikus
Gottschalk und Amtmann Compe in Schwarzenbek ernannt wurden. Das
Verhältnis dieser Kommissiort war noch drückender, als das
vorhergehende der Gouvemementskommisston und der Subdelegierten,
zumal es zu manchen unangenehmen Kollisionen mit der
Ratzeburgischen Regierung Anlaß gab, die, weil sie zugleich
Justizkollegium war, fortdauerte, jedoch nach den in Paris
zugeschnittenen Plänen ihren Wirkungskreis beschränkt sehen mußte."
Übrigens erfahren wie aus den Papieren Gottschalks, daß sich gerade
in dieser Zett die Mitglieder des Justizhofes in Ratzeburg
zurückzogen. Gottschalk bewarb sich infolgedessen um die Stelle
eines Assessors an diesem Gerichtshofe und erhielt sie auch.
Indessen geht aus dem Schreiben, welches aus Hamburg, wahrscheinlich
von d'Aubignosc, an die Mitglieder der Administrationskommission
gerichtet ist, hervor, daß die Bestätigung beim französischen
Minister nur dann beantragt werden kann, wenn die Vcrhältnisse
dieselbcn bleiben. Dem Wunsche Gottschalks, seinen Wohnsitz in
Ratzeburg zu nehmen, will sich d'Aubignosc nicht entgegenstellen,
wenn es auch von Wichtigkeit wäre, daß alle Mitglieder der
Administrationskommission ihren Sitz zusammen hätten.
Dieser provisorische Zustand mußte bald ein Ende nehmen; er mußte
zur Einverleibung Lauenburgs in das französische Kaiserreich
führen. Auch auf diese fernere Gestaltung der Dinge hatte
d'Aubignosc Einfluß. In
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den „Erinnerungen aus den Jahren 1803 bis 1813"
1) lesen wir darüber
folgendes: „d'Aubignosc fuhr fort mit der Regierung in Kassel wegen Abteilung der
15 000 Seelen für den Kaiser auf eine Art zu
communicieren, welche die Sache immer weitläufiger machte und Veranlassung gab, daß ihm für
seine Person vorteilhafte Anerbietungen
gemacht wurden, die er gänzlich ablehnte, da er recht wohl begriff,
daß Jrome nicht mehr als jeder französische höhere Staatsdiener
war, im Gegenteil, dieser sich noch mehr dünkte zu sein oder
werden zu können, als ein, nur durch die Gnade des Bruder Kaisers,
neu geschaffener König."
„An den französischen Gesandten in Cassel, den Grafen Villemanzy und
Staatsrat Réal im Cabinet des Kaisers, wurde hervorgehoben, wie
Lauenburg in westfälischen Händen, in so naher Berührung mit
Hamburg, Mecklenburg und der preußischen Grenze, den Contreband
nur begünstigen müßte. Eine Saite, die in Napoleons Seele mächtig
anklang."
„d'Aubignosc ließ bei keiner Gelegenheit unbemerkt, daß Lauenburg
besser ganz unter des Kaisers Abministration zu bleiben hätte, und
das Land Hadeln, ehemals integrierender Teil Lauenburgs, dazu zu schlagen wäre, um so auch zwischen
Hamburg und Bremen den
Contreband besser überwachen zu können. Sein Plan ging dahin, die
Intendanz von Lauenburg zu bekommen, welches ihm sehr gelegen
schien, um von da seinen Einfluß weiter auszudehnen. Diese
Informationen aber gaben der Sache eine ganz unvorhergesehene
Wendung und endeten mit der Einverleibung des größten Teiles der dem
König von Westfalen eben gegebenen Provinzen und der Hansestädte
mit dem großen Reiche."
Die Errichtung der drei hanseatischen Departements, so lesen
wir in der Biographie Gottschalks weiter, führte eine neue Änderung
in dessen persönlicher Lage herbei. Gottschalk hatte sich früher
mehr aus bloßem wissenschaft-
___________________
1) Von einem Zeitgenossen. Leipzig und Hannover 1843.
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lichen Interesse mit der französischen Jurisprudenz beschäftigt,
und dies veranlaßte jetzt seinen Plan, sich mit der Advokatur zu
beschäftigen und dadurch eine Unabhängigkeit und eine Einnahme zu
suchen, wie sie ihm seine Anstellung im französischen Dienst
gewähren konnte. Er zog nach Lübeck, ließ sich als Advokat bei dem
kaiserlichen Gerichtshofe in Hamburg aufnehmen, und die Umstände
begünstigten die Ausführung seines eben erwähnten Planes.
Er
plädierte die Sache der Madame Rosa 1) Schlötzer, welche eine
litterarische Celebrität erhalten hat, und die Sachen mehrerer
Gutsherrn, welche durch die zweifelhaften Bestimmungen des Kaiserlichen Dekrets über die Feudalverhältnisse mit ihren
Gutsleuten in Streit gerieten, und fand so eine Advokatur, die
sehr rühmlich und in Ansehung der Einnahmen besser war als alle
seine vorherigen Verhältnisse. Ueber den Rechtsstreit des Gutsbesitzers von
Hammerstein zu Castorf wider den Halbhufner G.
Meyer daselbst wegen gutsherrlicher Gefälle ließ Gottschalk
Bemerkungen drucken, Lübeck 1813, welche ein wichtiger Beitrag zu
dem noch nicht aufgeklärten Meierrechte hiesigen Landes sind. 2)
Über die Bemühungen Gottschalks, sich eine neue Stelle zu
verschaffen, erfahren wir aus seinen Briefen folgendes. Zunächst
wandte er sich an d'Aubignosc mit der Bitte, ihm eine Stelle an dem
Lübecker Tribunal zu verschaffen. Dieser aber schrieb ihm am 5.
Januar 1811, Gottschalk habe seinen Einfluß überschätzt, er
solle sich an „Monsieur Chevalier Faure" wenden, der in diesen Dingen zu
entscheiden habe. Wie wir aus verschiedenen
___________________
1) Soll wohl heißen: Dorothea Schlözer. Diese war
verheiratet mit dem Lübecker Senator von Rodde, dessen Geschäft
damals zusammenbrach. Ob sich darauf dieser Prozeß bezieht, habe ich
nicht in Erfahrung bringen können.
2) Es handelte sich um die Anwendung des kaiserlichen
Dekrets vom 2. 12. 1811
über die Beseitigung des Lehnwesens auf die gutsherrlichen
Leistungen der Bauern. So wurden eine Menge Prozesse geführt
zwischen Gutsherren und Gutsleuten über die Frage, ob die Pflichten
der letzteren gegen die ersteren durch das gedachte kaiserliche
Dekret aboliert oder bloß loskäuflich geworden sind. Die in der
Lübecker Bibliothek befindlichen Schrift Gottschalks behandelt diese
Frage.
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Entwürfen, die im Konzept erhalten sind, sehen, hat Gottschalk diesen Rat befolgt. Schon am
9. Januar 1811 wandte er sich an Faure
und schildert seine Laufbahn als Landsyndikus,
Provinzialdelegierter und Mitglied der kaiserlichen Administrativkommission.
Er bittet um eine Anstellung als
kaiserlicher „procureur" oder als Richter bei dem Tribunal, welches
die Lauenburgischen Rechtsfälle behandeln wird, mit seinem
Wohnsitze in Ratzeburg, in Lauenburg oder in Lübeck. Als Zeugen für
seine loyale Gesinnung führt er d'Aubiguosc an. Dieser hat ihn auf
Vorschlag der Kommission zum provisorischen Assessor des Hofgerichtes ernannt, und nun
wünscht er demgemäß einen Platz in
der neuen Organisation. Seit einiger Zeit beschäftigt er sich mit
dem Code Napoleon und französischer Korrespondenz. Am 31. August
1811 schrieb ihm der Substitut des kaiserlichen Prokurators
Wichmann, da das Tribunal beschlossen habe, ihn provisorisch als
avoué, d. h. Anwalt bei gedachtem Tribunal anzustellen, so
lade er
ihn ein, sich am nächsten Dienstag, den 3. September, morgens
11
Uhr, zur Beeidigung im Audienzsaal zu „sistieren". Trotz seines
seines
amtlichen Charakters ist dieses Schreiben deutsch abgefaßt.
Gottschalk sah sich genötigt, seinen Wohnsitz nach Lübeck zu verlegen,
Erst am 30. Dezember im Schloß der Tuilerien wurde die
Kaiserliche Verordnung folgenden Inhalts erlassen: nous avons
nommé et nommons Suppléant du juge de paix du Canton de Lübeck (No.
2) arrondissement du tribunal de première instance à Lubeck
département des Boucbes de l'Elbe Mr. Jean Martin Chrétien
Gottschalk, avocat en remplacement du Sr. Lendenberg non acceptant.
So hörte in Lauenburg die Interimsverwaltung d'Aubignoscs und der
altbewährten lauenburgischen Beamten auf, denn die wichtigsten und
bestbesoldeten Stellen, namentlich in der Justiz, fielen Franzosen
anheim. Hierauf bezieht sich die Klage des Amtmanns Compe in
Schwarzenbek an den Unterpräfekt v. Gruben: „Wer hätte ahnen
können, daß Männer, die mehrere
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Jahre lang dem Staate gedient haben und eine gute Bestallung hatten,
auch wohl gar bei den Oberen für sehr geschickte und besonders
brauchbare Männer galten, daß solche Männer es jetzt für ein Glück
halten müssen, wenn sie eine kleine Stelle wiedererhalten? Es
werden garzuviele Familien unglücklich." Bei dieser Wendung im Leben
Gottschalks möchte es wohl angebracht sein, das Unglück der
Franzosenherrschaft für Lauenburg an einigen Bildern zu zeigen.
Auch hier werden ja manche Einrichtungen, die die Franzosen
mitbrachten, mit Freude begrüßt sein, wie die Öffentlichkeit des
Gerichtsverfahrens, die Schwurgerichte und die Aufhebung der letzten
Reste des Lehnswesens, wenn auch die plötzliche Abschaffung des
ländlichen Meiere[i]rechtes manche Streitigkeiten mit sich brachte.
Aber was wollte das sagen gegen die furchtbaren Lasten, welche die
Fremdherrschaft auferlegte? Zunächst mußte ja das Land noch schwer
tragen an der in der französischen Okkupationszeit entstandenen
Schuldenlast. Nicht einmal die Zinsen dieser Schulden konnten damals
bezahlt werden, fielen doch gerade die Einnahmen, die unser Ländchen
jetzt zu einem verhältnismäßig gut gestellten machen, damals weg,
nämlich die Einnahmen aus den Domänen und Forsten. Die Pachtgelder
der ersteren waren als Dotationen an französische Marschälle und
hohe Beamte verliehen 1). So hatte der Palastmarschall Duroc die
Erträge von Steinhorst, der Ceremonienmeister Segur die von
Schwarzenbek und der berühmte Marschall Rey die von Lauenburg
erhalten. Die Einnahmen aus den Waldungen hatten durch übermäßiges
Abholzen und namentlich durch den Mangel an Absatzquellen für das
Holz sehr abgenommen 2)
___________________
1) Suroc erhielt aus den Ämtern Steinhorst und
Ratzeburg 85 000 Franks; Rey aus den Ämtern Lauenburg und Ratzeburg
83000 Franks und der Graf Segur aus dem Amte
Schwarzenbek 20 000 Franks. Mithin gingen jährlich aus
dem Lauenburgischen 218 000 Franks ins Ausland. S.
Zander, Archiv für Lauenburg III, 323.
2) Schon am 18. Februar 1807
berichtete der Oberforstmeister von
Düring, es sei nur zu bekannt, wie sehr die Forsten in den ver-
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Außer den alten Schulden waren aber auch noch die laufenden Ausgaben
für das Heer zu bezahlen, und die Mittel eines Landes für dieses
flüssig zu machen, war immer das Hauptstreben Napoleons. Auf
Ausgaben für Beamtenbesoldung, für Zwecke des Kultus und Unterrichts
wurde wenig Rücksicht genommen, und die Ausgaben für wohltätige
Zwecke wurden einfach gestrichen. Jahre lang haben die Beamten
ihren [sic!] oft kärglichen Gehalt nicht bekommen können, wie uns das
Beispiel Gottschalks gezeigt hat. Das Heer verschlang alles, und
namentlich im Jahre 1811, wo zu dem großen Kriege gegen Rußland
gerüstet wurde. Die neuen Untertanen wurden mit einem ganzen Bouquet
von neuen Steuern und Abgaben beglückt 1). Zunächst war eine
Grundsteuer zu bezahlen, die nicht nur sehr hoch, sondern auch
höchst leichtsinnig verteilt war. Dazu kam dann die Personal- und
Mobiliensteuer. Die erstere mußte von allen seit einem Jahre in der
Gemeinde wohnenden Personen beiderlei Geschlechtes, die über
einundzwanzig Jahre alt waren, bezahlt werden, mit Ausnahme der bei
ihren Ehemännern wohnenden Frauen, der in Lohn und Kost stehenden
Dienstboten, der über sechzig Jahre alten Personen und der völlig
Armen. Die Steuereinheit bildete der dreitägige Arbeitslohn. Der
Preis eines Arbeitstages war für die Hansestädte auf 1,50 Frank
festgesetzt. Dazu kam noch die Mobiliarsteuer, die so viel Centimes
betrug, als der Mietswert der Wohnungen auf Franks eingeschätzt war,
und ferner eine hohe Tür- und Fenstersteuer. Diese Steuern waren
sämtlich Repartitionssteuern,
___________________
gangenen Jahren gelitten hätten. Ganze Distrikte seien ganz
abgetrieben. Von schwerwiegendem Einflusse sei auch die
Verschlechterung der Absatzverhältnisse. Früher zu den Zeiten der
ersten Okkupation hätten die lauenburgischen Forstbehörden fast
alles Holz nach Lübeck verkauft, ja die lauenburgischen Ämter seien
die einzigen gewesen, die den Bedarf des Lübecker Holzhandels
gedeckt hätten. Jetzt aber liege seit den unglücklichen
Verhältnissen, die Lübeck im November 1806 betroffen
hätten, Handel und Verkehr darnieder, und das Holz finde keinen
Absatz. - Besser war es bis 1811 auf keinen Fall
geworden, eher schlimmer.
2) Das Folgende ist entnommen aus Thimme a. a. O.
II, 640 ff.
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d. h. es wurde eine bestimmte Summe festgesetzt, die repartiert
wurde. Im zweiten Halbjahr 1811 war z. B. für das Elbdepartement
eine Summe von 229 050 Fr. festgesetzt, die aufgebracht werden mußte
als Personal- und Mobiliarsteuer, ferner 114 525 Fr. als Türen- und
Fenstersteuer.
Für die Gewerbetreibenden kam dazu die Patentsteuer, die in sieben
Klassen bezahlt wurde; die erste Klasse erlegte je nach der Art des
Gewerbes jährlich 40-300 Fr., die letzte 3-20 Fr. Dazu kamen noch
sehr drückende indirekte Steuern, die sog. droits réunis, die auf
alle möglichen Gegenstände gelegt waren, wie Wein, Branntwein,
Essig, Bier, Tabak, Salz, Fuhrwerke, Spielkarten, Gold- und
Silberarbeiten usw. Für den Verkauf des Weines im Großen mußte z. B.
der zwanzigste Teil des Verkaufspreises als Abgabe entrichtet
werden. Dazu kamen noch sehr hohe Stempelgebühren und die gewaltigen
französischen Eingangs- und Ausgangszölle. Für die einkommenden Waren
mußten 15 Prozent vom Werte bezahlt werden, und außerdem wurden noch
von jedem Frank des Zolles 10 Cts. als außerordentliche Kriegssteuer
erhoben. Der Handel mit Frankreich war anfangs freigegeben, wurde
aber gegen dieses Land, wie auch gegen Holland bald durch sehr hohe
Zollschranken gehindert.
Das waren die allgemeinen Lasten, die eine damals durchaus nicht
steuerkräftige Bevölkerung trafen, denn das ganze Erwerbsleben lag
vollständig zu Boden. Durch die rücksichtslose Gewaltherrschaft
Napoleons wurden sogar einzelne Berufsarten ganz und gar vernichtet.
Wir haben es in unseren Tagen erlebt, daß infolge eines Streiks im
Seemannsgewerbe kurze Zeit hindurch in Hamburg Handel und Verkehr
daniederlagen, und erfahren, welche Folgen das für viele Existenzen
hatte; nun denke man sich aber eine Jahre lang den Handel
Vernichtende Maßregel wie die Kontinentalsperre! Über dreihundert
Hamburgische Seeschiffe lagen damals abgetakelt im Hamburger Hafen,
und die Assekuranz-
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kompagnien der Stadt erlitten in den nächsten drei Jahren nach der
Besetzung durch die Franzosen einen Verlust von zwanzig Millionen
Franks. Nun muß man sich denken, wie viele Gewerbe, die mit dem
Seemannsgewerbe und dem Handel eng zusammenhängen, ebenfalls
vernichtet wurden. In Hamburg konnten sich von den 428
Zuckersiedereien nur einige wenige erhalten, die Kattundruckereien
hatten sämtlich aufgehört 1).
Ferner wurden wie mit einem Schlage, die kleinen Tabaksspinnereien
durch die Regie des Tabaks vernichtet. Trotz aller Klagen und
Bemühungen der Präfekten, die ihren Städten gerne eine blühende
Industrie erhalten wollten, wurde in den drei Departements nur eine
staatliche Tabaksfabrik in Bremen zugelassen. Hierdurch wurden
hunderte von Arbeitern brotlos und ebenfalls eine Reihe von
Händlern, denn die Fabrikate wurden nur an wenige bestimmte Personen
gegen eine festgesetzte Prämie zum Verkauf überlassen. Die
Kontrebande mit Tabak wurde auf das schwerste bestraft, nämlich nach
Beschaffenheit der Umstände mit Ketten und selbst mit dem Tode.
Führer der Vereinigungen von Schleichhändlern erhalten als Strafe
zehnjährige Zwangsarbeit und Brandmarkung 2).
Naturgemäß waren auch die notwendigsten Lebensbedürfnisse sehr
verteuert. Da der Kaffee und Zucker per Pfund mit 1 3/4 Talern bezahlt
werden mußte, so waren sie für den Mittelstand fast
unerschwinglich und zum Ersatz für den Kaffee griff man zu
gerösteten Eicheln, Schwarzbrot und Roggen. Die Hausfrauen siedeten
keine Früchte mehr ein, statt des Tabaks wurde Erdlattig geraucht
und Wein wurde aus Johannisbeeren gekeltert.
Allerdings versuchte die französische Regierung die bisher von
England eingeführten Kolonialwaren möglichst entbehrlich zu machen.
Als Ersatz für den west-
___________________
1) S. Perthes, Leben I, 210.
2) Nach einer in der Lübecker Stadtbibliothek erhaltenen
Verordnung.
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indischen Zucker wurde damals der Anbau der Runkelrübe zur
Zuckerfabrikation nicht nur empfohlen, sondern im Napoleonischen
Geiste streng erzwungen. So findet sich in der Lübecker Bibliothek
das Formular eines Anschreibens an Herren Zuckerfabrikant ... mit
folgendem Inhalt: Mein Herr. S. M. haben eine gewisse Anzahl
Licenzen zur Anlegung von Fabriken von Runkelrübenzucker
bewilligt, welche vorzugsweise auch an Zuckersieder verteilt werden
sollen. Es müssen von 1812 bis 1813 10 000 Kilogramm roher
Zucker
verfertigt werden. Es folgt dann eine Anweisung zum Bau von
Runkelrüben. Nach einer anderen Verfügung müssen 1000 Hektar in dem
Departement der Niederelbe damit bepflanzt werden, und zwei vom
Maire ernannte Mitglieder des Gemeinderates sollen beaufsichtigen, daß man die Pflanzen fleißig behackt, reinigt und, wo es
notwendig ist, junge Pflanzen versetzt.
Bei den damaligen Verhältnissen, wo es an Unternehmungslust und
Geldmitteln fehlte, konnte die neue Industrie nicht aufkommen. Auch
Versuche der Regierung, Handel und Verkehr durch Anlage von Straßen
zu heben, blieben in den Anfängen stecken. So fordert der
Unterpräfekt von Lübeck alle Steinsetzer und Maurer, die pflastern
können und an dem Steinpflaster auf der Landstraße von Hamburg nach
Paris zu arbeiten wünschen, auf, sich in Harburg zu melden. Der
Preis der Pflasterarbeit beträgt für den Quadratmeter 5 Mark
8
Schilling. Jeden Sonntag soll bezahlt werden. Wir wissen aber aus
den amtlichen Berichten des Präfekten des Oberemsdepartements,
durch welches die Straße führte, daß die Bezahlung für die Arbeit
sehr im Rückstande blieb. Ebenso kam der geplante und nach
Napoleonischer Manier mit hochtönenden Phrasen angekündigte Kanal
zwischen der Seine und Ostsee nicht über die ersten Vorarbeiten
hinaus 1). Das letzte Glied bis zur Ostsee bildete unser
Stecknitzkanal, und deshalb interessiert uns
___________________
1) S. über das Folgende die Zeitschrift des Vereins
für Lübecksche Geschichte VII, 290 ff.
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diese Frage. Schon im Jahre 1809 wurde in Hamburg über einen
etwaigen Eintritt der Hansestädte in den Rheinbund verhandelt, dabei
wurde von Lübeck bei den französischen Gesandten Reinhard und
Bourienne allerlei Wünschenswertes vorgebracht, darunter auch die
Stecknitzverbesserung. Als nun im Jahre 1810 sich das Gerücht
verbreitete, es sei im Werke auch die nördlichen Landstriche des
Kurfürstentums Hannover mit dem Königreiche Westfalen zu vereinigen,
da schickte der Lübecker Senat eine Denkschrift an den damals in
Paris weilenden Senator Overbeck, damit dieser im passenden
Augenblick sie der französischen Regierung unterbreite. Eine
Kontinental-Schiffahrt ohne Benutzung der Nordsee bis zur Ostsee
mußte aber Frankreich sehr lockend erscheinen, und wenn das vom
Syndikus Curtius entworfene Memoire schon diesen Plan rühmte, so hob
das Begleitschreiben Overbecks mit kühner Phantasie hervor, daß
unter Napoleons des Großen Auspizien und zum Erstaunen Europas
künftig zwischen Lübeck und Cette am Mittelländischen Meere und
sogar zwischen Petersburg und der Wolga einerseits und dem
Mittelländischen Meere anderseits ein großer Kanal entstehen würde.
Die französische Regierung und besonders auch d'Aubignosc
interessierten sich sehr für einen Stecknitzkanal, auf dem auch
mäßige Schiffe zu 50 Lasten fahren sollten. Im Frühjahr
1813 aber
waren erst die Vorarbeiten beendigt, und bald darauf wurde alles
durch den Zusammenbruch der Macht Napoleons vereitelt. Ob der Kanal
damals großen Wert gehabt hätte, ist doch sehr fraglich, da die
Franzosen die Ostsee nicht beherrschten und alle Versuche Napoleons
Schiffe zu bauen, was er auch in Hamburg und Lübeck unternahm,
keinen rechten Erfolg hatten. Vor allem fehlte es ihm an Seeleuten,
wenn er diese auch überall auszuheben versuchte.
Damit aber komme ich auf den letzten großen Übelstand der
Franzosenherrschaft, der neben dem Druck der Steuern und dem
Daniederliegen alles Handels und
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Gewerbes, wie der Amtmann Compe sagt, garzuviele Familien
unglücklich machte, das ist die Konskription. Man braucht nur die
langen Listen derer zu lesen, die sich der Aushebung entzogen. Sie
wollten nicht in fernen Ländern, namentlich in Spanien, eines
elenden Todes für eine fremde Sache sterben. Stellvertretung war
anfangs allerdings gestattet, aber ein Stellvertreter mußte unter
30
Jahre alt sein, anderthalb Zoll größer als der Konskribierte sein und
kostete 2 bis 3000 Mark. Später war es auch nicht mehr erlaubt,
einen Stellvertreter zu kaufen. So kann man sagen: soviel
Konskribierte, soviel Widerspenstige. In das Departement der Oberems
mußte 1812 ein Halbbrigade von 3000 Mann einrücken, um die
Konskription mit Waffengewalt durchzusetzen und die Flüchtigen
aufzugreifen. Wurden sie gefaßt, so hatten sie die schwersten
Strafen zu erleiden; wenn das nicht gelang, so hatten die
Angehörigen darunter zu leiden. Ganz besonderen Wert legte Napoleon
auf die Konskription von Seeleuten in den eben erworbenen drei
Departements. So gab er am 18. März 1811 den
Befehl zur Aushebung
von 3000 Seeleuten, deren Dienstpflicht sogar bis zum
vollendeten
fünfzigsten Lebensjahre dauern sollte. Beim Mangel an wirklich
seetüchtigen Matrosen wurden arme Fischermeister und deren Gesellen
eingestellt, ja auf die Ratzeburger Böter wurde damals
zurückgegriffen. Von den Gemusterten wurden aus Lübeck fünfzig,
worunter viele Familienväter, nach Antwerpen abgeführt und späterhin
auf Kriegsschiffe in verschiedenen französischen Häfen verteilt.
Leider habe ich dieses kleine Bild der Zustände unter der
französischen Herrschaft nicht durch Familienbriefe aus der
damaligen Zeit, die gewiß einen besonderen Wert haben würden,
vervollständigen können. Nur einige wenige Berichte des Ratzeburger
Magistrats aus etwas früherer Zeit haben zu Gebote gestanden 1). Der
Grund zur Verarmung Ratzeburgs war schon Ende des
___________________
1) Thimme a. a. O. I, 396.
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Jahres 1806 gelegt worden, denn im November allein
hatte das Amt Ratzeburg, wie schon oben erwähnt, 50 000 Mann
Einquartierung zu tragen, und wie diese hausten, davon geben einige
Privatbriefe Zeugnis, die ich früher in einem Aufsatze über die
Franzosenzeit in diesem Archiv mitgeteilt habe. Die Folgen zeigen
sich später in der traurigsten Weise. Bei der auch im Frieden nicht
aufhörenden Einquartierungslast meldet der Magistrat im Jahre
1808, die Bürgerschaft sei durch die fortwährenden
Kriegslasten, unter denen die Einquartierung die erste Stelle
einnehme, so heruntergekommen, daß von 218 Häusern nur die Hälfte
belegt werden könne. Und von der Verarmung der Handwerker und
Kaufleute laufen bei der Regierung in Hannover ergreifende Berichte
ein. In Ratzeburg wie anderswo werden besonders die Tischler,
Zimmerleute und Maurer als die bezeichnet, welche am meisten unter
der Krisis zu leiden haben. Wer wollte auch in der damaligen Zeit
bauen? In Handels- wie in Handwerkerkreisen fanden zahlreiche
Konkurse statt.
Unter diesen Verhältnissen war auch die allgemeine Sicherheit
bedroht. Die Vergehen gegen das Eigentum nahmen so zu, daß hier wie
in anderen Städten freiwillige Bürgerwehren sich bildeten, die des
Nachts in den Straßen vigilierten. Hier und da sammelten sich sogar
bewaffnete Räuberbanden, welche die Einbrüche im Großen betrieben
und sogar die Landstraßen unsicher machten.
Für Lauenburg war es ein Unglück, daß es durch d'Aubignoscs
Bemühungen von Hannover getrennt wurde, denn in dem Königreich
Westfalen, zu dem doch noch ein großer Teil Hannovers gehörte, waren
noch deutsche Beamte in ihren Stellungen geblieben, und diese
suchten nach ihren Kräften größerem Unheil vorzubeugen. Auch für
Lauenburg wäre es ein großer Segen gewesen, wenn Männer wie
Gottschalk, Compe und Düring ihre alte Stellung und damit ihren
Einfluß behauptet hätten. Man hat wohl gesagt: In Westfalen
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war die Fremdherrschaft schwer, in den hanseatischen Departements
aber unerträglich. Lediglich infolge des ruhigen Temperaments und
des gesetzlichen Sinnes der Niedersachsen kam es nicht zu offenen
Gewalttaten gegen einzelne Franzosen; als aber 1813 die ersten
Russen kamen, da loderten die Flammen des Aufstandes empor, noch ehe
die französische Heeresmacht vertrieben war. Wir folgen von nun an
wieder den Aufzeichnungen Gottschalks.
Der unglückliche Feldzug der Franzosen nach Rußland hatte im März
1813 die russischen Truppen in unsere Gegend geführt, und unter
ihrem Schutze hatte sich der Senat in Lübeck wieder eingesetzt und
die Regierung in Ratzeburg wiederhergestellt. Diese forderte am
20.
März alle Staatsdiener auf, in ihre vorigen Verhältnisse
zurückzukehren und schon am 21. d. MtS. befand sich Gottschalk auf
seinem alten Posten.
Als die Regierung die Einwohner zu den Waffen rief, hielt Gottschalk
es für seine Pflicht, nach seinen Kräften und Verhältnissen diese
Absicht unterstützen zu helfen. Er erließ in der Stadt Ratzeburg
einen Aufruf, der in Mölln und Lauenburg nachgedruckt und
verbreitet wurde und allgemeinen Anklang fand. Daher mußte er, als
die Franzosen nach dem ersten Waffenstillstande Hamburg und die
hiesige Gegend zum zweiten Male besetzten, vor ihrer Verfolgung
sich zu entziehen suchen, und er verließ am 24. August
1813
Ratzeburg mit schwerem, kummervollem, jedoch von Hoffnung und Trost
nicht entblößtem Herzen. In einer Entfernung von 1 1/2 Meilen von
Ratzeburg fand er in dem Stifte Ratzeburg einen dem Anscheine nach sicheren und ruhigen Aufenthaltsort, wo er so lange zu
bleiben gedachte, bis die seiner Überzeugung noch
[sic!] unvermeidliche
Änderung der Dinge eintreten würde, und dann sofort auf seinen
Posten zurückkehren zu können. In dem Augenblick aber, wo die
Nachrichten von den ersten günstigen Ereignissen für die Alliirten
die Hoffnung einer baldigen Erlösung belebten, traf ihn persönlich
ein sehr harter Schlag, wodurch er in große
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Lebensgefahr kam. Die Franzosen waren nämlich von Ratzeburg aus in
das Stift Ratzeburg, welches bis dahin von den russischen Vorposten
gedeckt war, ganz unerwartet vorgedrungen. In der Nähe seines
Aufenthaltortes fiel in der Nacht vom 17.-18. September ein
Vorpostengefecht vor, in welchem die Russen zurückgedrängt wurden.
Von dem Gewehrfeuer vor seinem Asyl aufgeweckt, wurde er von den
einbrechenden Franzosen aus dem Bette gerissen und mit mehreren in
der Gegend aufgehobenen Landleuten fortgeschleppt. Man raubte ihm
seine Kleider unter den Händen weg, indem er sie anziehen wollte,
ließ ihm keine Zeit seine Füße zu bekleiden und zog ihn mit
entblößtem Haupte und im Nachtzeuge mit seinen Unglücksgefährten
durch den tiefsten Schmutz 1 1/2 Meilen weit fort nach bem Dorfe
Ziethen, wo sie zu anderen Gefangenen in der Kirche eingesperrt
wurden. Hier blieben die Gefangenen jedoch nicht lange, sondern
wurden noch an demselben Tage in das Hauptquartier nach
Ratzeburg gebracht, um vor den Prinzen Eckmühl gestellt zu werden. Da
Eckmühl gerade in einer günstigen Stimmung zurückgekehrt war von
einem Gefechte und ein Frauenzimmer sich für Gottschalk bei einem
der höchsten Stabsoffiziere verwendete, so erhielt er, ohne
vor Eckmühl gestellt zu werden, einen Paß auf Lübeck, wo er von
einem Freunde aufgenommen und verborgen gehalten wurde.
Die Folgen der erlittenen Mißhandlung, der Erkältung und Gemütsanstrengung warfen Gottschalk auf ein zehnwöchentliches
Krankenlager. Seine Genesung wurde durch die Besorgnis einer
weiteren Verfolgung und durch alle die Drangsale, welche die
Einwohner Lübecks in jener Zeit in ihrem Belagerungszustandc zu
erdulden hatten, erschwert und verzögert, so daß die erfreuliche
Nachricht der Kapitulation vom 5. Dezember 1813 noch
gefährlich auf seinen geschwächten Gesundheitszustand wirkte und einen Rückfall befürchten ließ. Aber er konnte doch schon am
11.
Dezember auf seinen Posten nach Ratze-
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burg zurückkehren, Wenn auch die Folgen jener Krankheit noch sehr fühlbar nachwirkten.
Bei seiner Rückkehr in die vorigen Verhältnisse als Landsyndikus und Stadtkommissarius
zu Ratzeburg erweiterte sich sein Geschäftskreis
noch mehr, indem ihm außer den schon früher verwalteten
Justiaraten von fünf adligen Gütern auch die von fünfzehn anderen
übertragen wurden.
Die Vereinigung der Provinzial-Landschaften in eine allgemeine
hannoversche Ständeversammlung, zu welcher von der Lauenburgischen
Ritterschaft zwei und von den Städten ein Deputierter abgeordnet
werden mußten, gab die Veranlassung, daß Gottschalk am 6.
Dezember 1814 nach Hannover reiste und teilnahm an
den Verhandlungen der Stände. Sein heller und praktischer Blick, sowie
seine Umsicht und Gewandtheit in den Geschäften wurden sehr bald
erkannt und gewürdigt. Er wurde zum Mitgliede zweier verschiebener
Kommissionen ernannt, von denen die eine über die Verbindlichkeit
des Königreichs zur Anerkenntnis der während der französischen
Okkupation kontrahirten gemeinschaftlichen und privativen
landschaftlichen Schulden und die andere über die Art und Weise, wie
die gesamten hannoverschen Landesschulben dem Wunsche des Prinzen-Regenten gemäß in ein Ganzes vereinigt und die dadurch für
Provinzen und einzelne Individuen entstehenden Nachteile vermieden
werden könnten, zu berichten hatte. In beiden Kommissionen wurde
er zum Protokollführer erwählt und ihm zugleich aufgetragen, den
Bericht an das Plenum der Versammlung zu redigiren. Außer diesen
Kommissionsarbeiten nahm er auch mit dem lebhaftesten Interesse an den Geschäften des
Pleni Anteil. Seine Tendenz im reden Schreiben war stets dahin gerichtet,
daß die aus den
verschiedenen Ständen des Adels, der Geistlichkeit und der Städte
zusammengesetzte Versammlung mit Beiseitesetzung alles partikulären
Standes- und provinziellen Interesses nur das Gesamtwohl des Ganzen
vor Augen behalten, unter Rücksicht auf bestehende Verhält-
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nisse eine gleichmäßige, die zahlreiche Klasse der Armen schonende
Verteilung der Staatslasten und ein stets ununterbrochenes
Einverständnis mit der Regierung sich zum Ziele setzen möge.
Gottschalks Teilnahme an diesen Arbeiten wurde durch die politische
Veränderung, welche das Herzogtum Lauenburg betraf und welche ihn
in diese Provinz, der er durch nähere Verhältnisse angehörte,
zurückrief, unterbrochen.
Obwohl ihn die Veränderung des Schicksals seiner Provinz bitter
schmerzte, da ja sie auch wegen ihrer Anhänglichkeit an ihren Herrn
und wegen der von ihr erduldeten schweren Kriegs-Drangsale die
gerechtesten Ansprüche hatte, daß die Wunden, welche ihr eben jene
Anhänglichkeit geschlagen hatte, wieder geheilt werden möchten, so
wurde doch sein verletztes Gemüt bald wieder besänftigt, indem er in
dem Ereignisse, das sein Land betraf, den höheren und weisen Willen
der Vorsehung verehrte; und von Verehrung für die hohe
Persönlichkeit des neuen Beherrschers von Lauenburg durchdrungen,
folgte er gewiß ebenso sehr seinem Gefühle, wie seiner Pflicht gegen
das Land, dem er diente, wenn er eine Dankadresse für die
Bestätigung der Lauenburgischen Verfassung entwarf und in Vorschlag
brachte und zur Absendung einer Deputation nach Kopenhagen riet, um
dem Könige die Devotion der Landstände zu bezeugen. Zu dieser
Deputation wurde Gottschalk selbst mitgewählt, und des Königs
Majestät ernannte ihn zum Etatsrate und beschenkte ihn mit dem
Ritterkreuze des Danebrogordens. Gottschalks ausgezeichnete
Tüchtigkeit, seine umfassende Gesetzkenntnis und sein erleuchteter
Patriotismus konnte der dänischen Regierung nicht lange unbekannt
bleiben, und sie berief ihn im Jahre 1821 als zweiten Rat in die
Landesregierung des Herzogtums Lauenburg. Bei seinem Austritte aus
seinen bisherigen Verhältnissen als Landsyndikus und Stadtkommissar
brachte ihm die Ritter- und Landschaft als Beweis ihrer Anerkennung
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seiner großen Verdienste um des Landes Wohl das Ehrengeschenk einer
wertvollen goldenen Dose.
Auch bei dem Übergange in die neuen Verhältnisse unter dänischer
Herrschaft blieben Schwierigkeiten finanzieller Art nicht aus. So
ist in Gottschalks Papieren das Konzept einer Eingabe an die
königliche Hohe Kammer zu Hannover vom 26. September
1815 erhalten,
in der Gottschalk untertänigst um gnädige Auszahlung seiner
rückständigen Gage wenigstens für die Periode bittet, in der andere
Beamte solche erhalten haben.
Anderseits fehlt es auch nicht an Ausdrücken des Vertrauens einem so bewährten Beamten gegenüber. Am
2. Dezember richteten Bürgermeister
und Rat von Ratzeburg an Herrn Landsyndikus Gottschalk ein
gehorsamstes Pro Memoria. „Sie fürchten bei der jetzigen
zweifelhaften Lage, ob sie unter Hannover bleiben werden, ihren
Stadtkommissar zu verlieren, indem es für diesen ein leichtes sein
würde, in Hannover eine andere Stelle uu erhalten, und bitten ihn
sie nicht zu verlassen, namentlich wenn eine andere Landesherrschaft
stattfinden sollte." Wir wissen aus den obigen Aufzeichnungen, daß
Gottschalk in Lauenburg blieb und sich sogar gerne und willig in
die dänische Herrschaft fügte. Wir wissen auch, daß es ihm an
Anerkennungen und Auszeichnungen von seiten der neuen Regierung
nicht fehlte; doch dieser letzte große Abschnitt seines Lebens
gehört nicht mehr in den Rahmen dieses kleinen Aufsatzes hinein, der
im Anschluß an Gottschalks Leben ein Bild von der Franzosenzeit
geben sollte.
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