Es ist in diesem Archiv schon
viel von dem Zehntenregister des Bistums Ratzeburg die Rede gewesen,
sodaß vorausgesetzt werden kann, daß jedermann weiß, daß es sich
dabei um ein wichtiges Aktenstück aus dem Anfange des 13.
Jahrhunderts handelt.
Es darf wohl auch als allgemein bekannt angesehen werden, daß der
ZEHNTE EINE ART KIRCHENSTEUER war, die in natura und zwar in der
Erntezeit eingefordert wurde als 10. oder 20.
Hocke von dem auf dem Felde abgemäheten Getreide.
Diese Kirchensteuer war gleich bei der Gründung des Bistums dem
Bischof zugesprochen worden, und der erste und ursprünglich einzige
Paragraph des betreffenden Gesetzes lautete: DIE GEISTLICHKEIT
bezieht IM GANZEN GEBIET DES BISTUMS den 10. Teil
aller auf den Feldern, WELCHE CHRISTEN GEHÖREN, eingeernteten
Früchte.
Indessen, so heißt, wie die Speise gekocht war, wurde sie auch hier
nicht gegessen, wenigstens fanden sich viele, die mit davon genießen
wollten; kurz der Bischof mußte sich dazu verstehen, zu Gunsten
anderer auf Teile des Zehnten zu verzichten.
Da waren zunächst die Fürsten des Landes, welche Ansprüche machten,
und dann die Großgrundbesitzer und endlich die Städte, oder besser
gesagt die Burgen und Festungen jener Zeit.
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Es erschien billig, daß diejenigen, welche dafür
sorgten, daß der Bischof das Erträgnis seiner Steuer in Frieden
genießen konnte, von der Zahlung derselben für ihre Personen
ausgenommen wurden. Mit den Fürsten und Großgrundbesitzern wurden
Verträge geschlossen, wonach die Kirche sich mit ihnen in den
Zehnten zu gleichen Hälften teilte.
Anfangs sind nun die Einkünfte aus dieser
Kirchensteuer gewiß nur schmal gewesen, in einem Lande, das zum
größeren Teile noch von heidnischen Wenden bewohnt war. Deshalb
wurden die Wenden genötigt dem Bischof auch ihrerseits eine kleine
Abgabe zu geben. Wenn sie sich bequemten Christen zu werden, fiel
diese Abgabe weg, und an ihre Stelle trat alsdann der Zehnte.
Da es aber im gleichen Interesse der Kirche und der Fürsten lag, die
Umwandlung der Wendenfelder in zehntpflichtige Aecker zu
beschleunigen, griff man zu dem Mittel der Kolonisation des Landes
durch Deutsche und setzte eine Prämie auf die Einwanderung in
Gestalt eines Zehntenteils für die Unternehmer der Kolonisation, die
sogenannten Lokatoren.
Damals - im 12. Jahrhundert - war das Kolonisieren noch leichter als
jetzt. Der Fürst war fast der einzige Grundeigentümer im Lande, und
die wendischen Bauern standen zu ihm im Verhältnis von Zeitpächtern,
die bei Kündigung ihrer Pacht nach Jahresfrist mit einer mageren
Entschädigung für ihre Gärten und Häuser abziehen mußten. Den
deutschen Einwanderern wurden die auf diese Weise freigewordenen
Aecker in ERBPACHT gegeben gegen mäßigen Zins aber unter
gleichzeitiger Auferlegung des Zehnten.
Ein solch neues deutsches Dorf wurde in der Regel in 12
Hufen gelegt, und Fürst und Bischof teilten sich mit denen, welche
die 12 deutschen Bauernfamilien angeworben hatten in
den Zehnten, sodaß also der Fürst den Zehnten von 2
Hufen an diesen Mann, den Lokator, der gewöhnlich dann auch die
Bauermeisterei übernahm,
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abtrat und ebenso der Bischof. Jeder der drei
Zehntenempfänger hatte also im 12 Hufenkolonistendorf
den Zehnten von je 4 Hufen zu beanspruchen, im
24 Hufendorf den von 8 Hufen und so weiter je
nach der Größe des Dorfes und der Feldmark.
Es kam bald zu den buntesten Verhältnissen inbezug auf diese Steuer.
Da gab es heidnische Wendendörfer, die überhaupt keinen Zehnten
entrichteten, da gab es christliche Wendendörfer, die je den halben
Zehnten an den Fürsten oder Großgrundbesitzer und den halben an den
Bischof bezahlten; da gab es deutsche Kolonistendörfer, die je den
3. Teil des Zehnten an den Bischof, den Fürsten und
den Lokator bezahlten. Da aber der Bischof sich seit 1194
mit seinem Kapitel auseinandergesetzt hatte, und ihm den halben
Zehnten in einer bestimmten Anzahl Ortschaften überließ, so gab es
auch solche Dörfer, in denen neben dem Fürsten, dem
Großgrundbesitzer oder dem Lokator das Kapitel als Zehntempfänger
auftrat. Durch allerlei Transaktionen wurde dann die Sache noch viel
bunter.
In Angelegenheiten von mein und dein muß man aber sorgfältig sein,
und es kann nicht überraschen, wenn die Bischöfe, denen ja die
Kirchensteuer eigentlich im ganzen Lande allein zukam, ein Buch
anlegten, in dem all diese Zehntverhältnisse aufs genaueste
angegeben sein SOLLTEN. Die Gunst des Zufalls hat es nun gewollt,
daß uns dasjenige Zehntbuch erhalten geblieben ist, welches der
Bischof Gottschalk im Jahre 1230 niederschreiben ließ. Leider ist es
nicht ganz vollendet, aber da es das einzige ist, nicht nur im
Bistum Ratzeburg, sondern IM GANZEN DEUTSCHEN LANDE, das auf uns
gekommen ist, so hat es einen außerordentlichen wissenschaftlichen
Wert, namentlich weil aus ihm die damalige Kirchenverfassung und die
Kolonisationsverhältnisse mit großer Klarheit hervorgehen.
Freilich, dieses Buch war lange Zeit ein Buch mit 7
Siegeln, an deren Lösung viele treffliche Leute ver-
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geblich gearbeitet haben. Erst kürzlich ist das
gelungen, und dazu hat der lauenburgische Geschichtsverein
wesentlich mitgewirkt. Wenn jetzt ein helleres Licht auf die
Vorgänge in Norddeutschland im 12. und 13.
Jahrhundert fällt, an dem die ganze deutsche Welt ein hohes
Interesse hat, so dürfen wir uns daran ein gar nicht kleines
Verdienst zuschreiben.
Wer den 2. Band unsres Archivs besitzt, findet im
1. Hefte desselben (1887) das
Zehntenregister nach der Ausgabe des Ratzeburger Gymnasialdirektors
Arndt vom Jahre 1833 abgedruckt. Es ist leider ja, wie
es sich für ein wichtiges Aktenstück des 13.
Jahrhunderts von selbst versteht, lateinisch geschrieben und deshalb
für viele unsrer Vereinsgenossen unverständlich. Aus diesem Grunde
wünschte der Vorsitzende des Vereins, Herr Amtsgeischtsrat Dührsen,
daß es verdeutscht werde. Indessen dürfte es genügen, um die ganze
Anlage kennen zu lernen, wenn nur eine Uebersetzungsprobe und im
übrigen eine Inhaltsangabe gegeben wird.
Das Buch beginnt mit einer HISTORISCHEN EINLEITUNG, die aber
beileibe nicht unbesehen hingenommen werden darf, denn der brave
Mann, der sie schrieb, - wahrscheinlich ein Weltgeistlicher des
Stifts Ratzeburg um 1230 - kannte die Geschichte des
12. Jahrhunderts nur aus den Urkunden seines Stifts
und hat sich böse Verwechslungen zu Schulden kommen lassen. Er
schreibt:
Im Jahre des Herrn 1154, als Papst Hadrian die
römische Kirche leitete und der ruhmreiche römische Kaiser und
Semperaugustus Friedrich der Rotbart glücklich regierte, wurde das
Bistum Ratzeburg von Herzog Heinrich frommen Angedenkens, dem Sohne
des Herzogs Heinrich *), welcher zuerst das Herzogtum Sachsen inne
hatte, unter Zustimmung und treulicher Mitwirkung des großen Bremer
Erzbischofs Hartwig fundiert.
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*) Gemeint ist Herzog Heinrich der Stolze von Bayern und Sachsen
1138/39.
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Derselbe vorgenannte Herzog Heinrich gab aber
einem gewissen Edlen, dem Heinrich von Botwide, die Grafschaft
Ratzeburg zu Lehen, durch welche dieser Heinrich zuerst den Titel
eines Grafen erlangte.
Und mit dem Beirat des vorgenannten Hartwig von Bremen und zugleich
dem des Herzogs Heinrich ward folgendes bestimmt: nämlich, daß in
den Provinzen Ratzeburg, Wittenburg und Gadebusch dieser Graf
Heinrich den halben Zehnten vom Bischof zu Lehen erhalte und daß die
andere Hälfte dem Bischof zur Verfügung bleibe auch von den Allodien
(= selbstbewirtschafteten Domänen) des Grafen und nicht minder von
allen Neubruchländereien; und jeder, sowohl der Bischof als der
Graf, sollen von ihrem Teile belehnen dürfen, WEN sie wollen und WIE
sie wollen mit der Ausnahme, daß in jedem Dorfe, welches 12
Hufen oder mehr als 12 Hufen hat, der Bischof den
Zehnten von zwei und der Graf den von zwei als „KOLONISATIONSPRÄMIE"
hergeben sollen. Wenn aber weniger als 12 Hufen in
einem solchen Dorfe sind, soll jeder von ihnen den Zehnten einer
Hufe beisteuern.
Das wurde gleichsam als ein Recht festgesetzt und von allen
angenommen.
Auf diese Einleitung, welche uns den wertvollen Zehntvertrag
zwischen Graf Heinrich, Bischof Evermod und den ersten Lokatoren,
der später die Bestätigung des Herzogs sowohl als des Erzbischofs
fand, in dankenswerter Weise erhalten hat, folgt alsdann das
Zehntenregister mit dieser Ueberschrift:
Folgendes sind die Vom
Bischofsanteile gewährten bischöflichen Zehntlehen [in
der Provinz Ratzeburg]. Darunter steht noch eine
Vorbemerkung: Die Zahlen am Rande beziehen sich auf die
Hufenzahl des betreffenden Dorfes. Dann kommt noch der
Segenswunsch: Die Gnade des heiligen Geistes sei mit
uns. Nun hebt das Register an und zwar so: |
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XXVIII |
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Im Dorfe Schlagsdorf hat der Priester den Zehnten von
2 Hufen. Den von 8 Hufen, der
dem Bischof zustand, hat er dem Reimbold überlassen im Tausch für
die Einkünfte, welche Reimbold im Dorfe Rehna hatte. Er (R) hat sie
aber nicht als dauerndes Lehen bekommen, sondern nur auf Zeit,
solange als es dem Bischof beliebt. Den Zehnten von 3 Hufen hat
Johannes. |
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In der Pfarre
Schlagsdorf. |
Schon bei dieser ersten Eintragung übersieht man die ganze Anlage
des Buches. Der Text in der Mitte enthält die Angabe der
Zehntverhältnisse, der äußere Rand das Hufenverzeichnis, der innere
Rand das Verzeichnis der Pfarren. Zur Erläuterung des Textes diene
folgendes: Es handelt sich bloß um die Verteilung der Zehnten, die
dem BISCHOF zustanden, also um die Hälfte aller Zehnten. Da aber am
Rande 28 Hufen angegeben sind, während im Texte bloß von
13 die Rede
ist, so ist eine Erklärung für diesen Umstand zu suchen, die
indessen schon längst gefunden ist. (s. Jahrbuch für
mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde LXIX p.
320.) Der
genannte Johannes dürfte Johann v. Molzan sein; der Zehnte von
3
Hufen ist als Lokatorenzehnt anzusehen. Danach ist Schlagsdorf
zunächst als 18 Hufendorf kolonisiert worden. Dazu sind im Laufe der
Zeit nicht weniger als 10 ehemalige Wendenhufen gekommen.
Nun folgen die übrigen Dörfer der Schlagsdorfer Pfarre, als Mechow,
Schlagbrügge, Molzan usw. Hierauf folgt die Karlower Pfarre mit
ihren Dörfern, dann Mustin, Seedorf, Gudow, Breitenfelde, Nusse,
Berkenthin, Krumesse, Grönau, St. Georgsberg, Schmilau, Büchen und
Mölln. Man sieht, daß 1230 schon alle Kirchen
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in der Provinz Ratzeburg vorhanden sind, die es
jetzt gibt, und auch die jetzigen Dörfer sind fast vollzählig
angegeben.
Mit Pezeke (ehemals in der Gegend des jetzigen Marienwohlde gelegen)
schließt die Pfarre Mölln als letzte den ersten Teil des
Zehntenregisters.
Dann kommt eine neue Ueberschrift, welche lautet: Folgende sind die
vom Bischof in der Provinz Wittenburg gewährten Zehntlehen.
Dort wird als erste Pfarre Zarrentin und als erstes Dorf darin
ebenfalls Zarrentin genannt. Auch hier findet man, daß ein
beträchtlicher Teil der heutigen Pfarren und fast alle heute in
Wittenburg und Umgegend begehenden Dörfer aufgezählt werden. Nicht
viel anders steht es mit der dritten Provinz der ehemaligen
Grafschaft Ratzeburg, mit Gadebusch. Dort treffen wir die Pfarren
Rehna (gewaltig groß), Pokrent, Roggendorf und Salitz, denen die
Dörfer fast in derselben Zahl und mit denselben Namen (natürlich in
älterer Form) wie jetzt zugeteilt sind.
Damit sind die Länder, auf welche sich der Zehntvertrag zwischen
Bischof Evermod und dem ersten Grafen von Ratzeburg bezog, erschöpft.
Aber das Stift Ratzeburg hatte um 1160 eine starke Erweiterung
erfahren und erstreckte sich auf folgende Gegenden, die im
Zehntenregister mit ihren Pfarren und Dörfern treulich aufgezählt
werden: Dassow, Bresen (Gegend um Grewsmühlen) Klützer Wald, Jabel,
Weningen, Dirtzink (später lauenburgisches Amt Neuhaus an der Elbe),
Sadelbande (die Aemter Lauenburg und Schwarzenbek) und Boizenburg.
Von den Vierlanden, die um 1160 ebenfalls zum Stift Ratzeburg kamen,
und vom Lande Boitin (die Gegend um Herrenburg, Schönberg und
Selmsdorf) schweigt das Zehntenregister aus einem noch nicht völlig
aufgeklärten Grunde. Auch sonst finden sich Lücken bezüglich
einzelner Dörfer, die erweislich um 1230 existiert haben, und ganzer
Pfarren mit allen ihren Dörfern, die
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aus Versehen oder Unkenntnis vom Schreiber des
Buches unberücksichtigt gelassen sind.
Auf Grund dieses stattlichen Materials läßt sich eine fast
vollständige Ortskunde des Bistums Ratzeburg um 1230 entwerfen und
eine Karte zeichnen. Letztere kann dann weiter benutzt werden, um
die Ausbreitung des Deutschtums um 1230 innerhalb der gegebenen
Grenzen anschaulich zu machen, ebenfalls auf Grund der Angaben des
Zehntregisters über die Kolonistendörfer. Da würden wir Gegenden
finden, wie Weningen und Jabel und den Dirtzink, wo dicke Schraffen
die völlige Herrschaft des Wendentums anzeigten, und andere, wie den
Klützer Wald, wo erst durch einzelne hellere Streifen und Punkte die
beginnende Einwanderung der Deutschen sich bemerkbar machte.
Doch ist im Zehntregister nicht alles so klipp und klar, wie es
hiernach scheinen könnte, sondern es muß Zeile um Zeile noch immer
von neuem geprüft werden. Da steht manchmal eine kurze Bemerkung von
anderer Hand als der des Schreibers, die im 13.,
14., 15., ja 16.
Jahrhundert hinzugekommen ist; freilich im ganzen nur wenig, da hebt
mal eine Bemerkung die andere auf, und es gilt zu überlegen, wie das
zugeht. Es werden da Rätsel aufgegeben, die nur mit Anstrengung des
Scharfsinns oder nach schwerer Schürfarbeit gelöst werden können.
Kurz das Zehntregister ist noch immer ein Gegenstand der Forschung
und wird es auch für die nächste Zeit noch bleiben.
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