Im Jahre 1897
ist der kleine Uhrthurm der St. Petrikirche in Ratzeburg einer
Reparatur unterzogen und bei dieser Gelegenheit der Thurmknopf
(Kugel) herabgenommen und geöffnet worden. Man fand darin einige
Urkunden, die zwar nicht von hohem Alter, immerhin aber interessant
genug sind, um in weiteren Kreisen bekannt zu werden.
Die älteste Urkunde, auf einem Streifen vergilbten Pergaments
enthalten, lautet: „Als von dem König in Dennemark die Stadt
Anno 1693 den 25. Augusti durch die Gewalt der
Bomben in Grund verstöhret, die Kirche St. Petri aber durch Gottes
Gnade mitten im Feuer wunderbahr erhalten ward, ist der auf diesem
Kirchendache gestandene spitze Klinge-Thurm Anno 1698
herunter genommen und der gegenwärtige new wieder aufgebauet, da H.
Johann Christoph Hacke Pastor, H. M. Johann August Rösche Diaconus,
und Paul Trapp nebst Peter Schöpken Kirchgeschworene gewesen.
Geschrieben den 17. Septembre des vorbenandten
1698 Heyl. Jahres. Umb diese Zeit hat allhier der Scheffel
Roggen 3 Rthlr. Lübisch, das Pfund Ochsenfleisch
3 ßl. und die Tonne Rommeldeus *) 6 Rthlr.
Lübisch gegolten.“ Unterzeichnet ist diese Mitteilung von dem
damaligen Organisten J. F. Rackwitz.
Die zweite Urkunde stammt aus dem Jahre 1789, aus der
Zeit des Kirchen-Neubaues. Denn die alte, bereits um 1300
vorhandene Kirche hatte durch das Bombardement doch so gelitten, daß
sie 1787 vollständig abgebrochen werden mußte. An ihre
Stelle trat das Gotteshaus in seiner jetzigen Gestalt, das am
1. Advent
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*) „Rommeldeus“ wurde das in Ratzeburg gebraute Bier genannt, das
wegen seiner Vorzüglichkeit weit und breit bekannt war und bis nach
Danzig verschickt wurde. Das Braugewerbe stand um jene Zeit hier in
hoher Blüte; man zählte in der Stadt nicht weniger als 70
Brauereien.
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1791 eingeweiht wurde. Die zweite
Pergamentrolle enthält die Mitteilung, „daß dieser Kirchenbau nach
einem von dem Herren Landbaumeister Laves gefertigten Riß, unter
Aufsicht des Herren Conducteurs Kruse beschaffet“ und besagt weiter:
„Die fernere Aufsicht und Rechnung über diesen ganzen Kirchenbau hat
geführet Herr Senator Christian Rohrdantz mit Zuziehung der beiden
Kirchenvorsteher Johann Friedrich Spinler und Nicolaus Meydau.
Mehrere Nachricht findet sich hiervon in einer Vasa
unter dem Altar, nemlich: wannehe dieser Kirchenbau angefangen und
vollendet worden usw. – Dieser Knopf und die Fahne sind aufgestecket
im Jahr Christi 1798 am 27. Tage des
Monats Junius, da denn allhier zu Ratzeburg der Scheffel Rogen
3 Rthlr. und die Tonne Rommeldeus 6 Rthlr.
kostete. Das hier gangbare Geld ist Hamburger, Lübecker und
Mecklenburgisches, schwer Courant, auch 2/3 Stücke
à 31 ßl. und 1/6 Stücke à 7 1/2
ßl.“
Das dritte, umfangreichere Schriftstück stammt aus dem Jahre
1852, wo der Kirchthurmsknopf zum Behuf einer neuen
Vergoldung herabgenommen worden war. Die Urkunde enthält einen
Bericht über die seit 1789 vorgekommenen Landes- und
Stadtereignisse, dem wir folgendes entnehmen: „Im Jahre 1852
sind an der hiesigen St. Petrikriche Prediger gewesen: Pastor,
Schreiber dieses, Carl Friedrich Wilhelm Catenhusen, Superintendent
des Herzogthums Lauenburg seit dem 12. October
1834. Diakonus: Herr August Christian Wächter, auch
Garnisonprediger seit dem 29. November 1843.
Kirchenvorsteher sind gewesen: Herr Andreas Heinrich Friedrich
Rudolph Zang. Herr Paul Gottfried Wilhelm Jürgens. Herr Heinrich
Eduard Sonntag. Herr August Heinrich Daniels. Lehrer an der hiesigen
Stadtschule sind gewesen: Herr Johann Friedrich Dölle, Cantor an der
St. Petrikirche. Herr Ernst von Reiche, Lehrer an der Töchterschule.
Herr Chr. Friedrich Koop,
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auch Organist an der St. Petrikirche. Herr
Christian Johann Valentin Mirow für den wechselseitigen Unterricht.
Herr Franz Heinrich Mahnke, Lehrer an der Freischule. Küster an der
St. Petrikirche ist gewesen: Herr Franz Heinrich Lembcke.
Zu dieser Zeit hatte Gott die evangelisch-lutherische Landeskirche
im Herzogthum Lauenburg gnädig angesehen, und ging in derselben die
reine lautere Lehre des seligmachenden Evangelii in völliger
Uebereinstimmung mit den Bekenntnißschriften der lutherischen Kirche
im vollen Schwange, auch wurden die heiligen Sakramente nach Christi
göttlicher Stiftung rite verwaltet. Der liebe gnadenreiche Gott
wolle seiner Kirche und unserm Lande solchen Segen der reinen Lehre
bis auf die fernsten Geschlechter der Zukunft kommen lassen, und
sein Zion unter uns im steten Gedeihen erhalten.
Was denn ferner die Ereignisse sowohl im Herzogthum Lauenburg als im
besondern in der Stadt Ratzeburg betrifft, deren für die Nachkommen
zu gedenken sein wird, so sind es die nachstehenden: Bis zum Jahre
1803 herrschte Ruhe und Friede im Lande, mit Ausnahme
des Jahres 1801, wo die Stadt Ratzeburg in Gefahr
gerieth, von den dänischen Truppen belagert zu werden. Ratzeburg war
zu der Zeit noch eine Festung. Es rückten auch einige tausend Mann
dänische Truppen vor Ratzeburg, blieben jedoch nur 3
Tage, und gingen dann zurück.
Das Jahr 1803 war verhängisvoll für das ganze
churhannoversche Land und auch für das Herzogthum Lauenburg. Der
damalige erste französische Consul Napoleon Bonaparte nahm aus dem
zwischen England und Frankreich ausgebrochenen Kriege Veranlassung,
die sämmtlichen hannoverschen Lande durch eine Armee unter Mortier
zu besetzen, und zu schwach zum Widerstande schloß die hannoversche
Armee eine Convention. Infolgedessen löste sich die hannoversche
Armee auf und mußte Festungen, Waffen, Kriegsgeräthe und Pferde dem
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Feinde überliefern. Das französische Heer, welches
von den Landeseinwohnern unterhalten und besoldet werden mußte,
rückte nun infolge der Capitulation auch ins Lauenburgische ein, und
besetzte das Land, wie auch die Stadt Ratzeburg.
Im Spätsommer 1806 brach der Krieg zwischen Frankreich
und Preußen aus. Während dieser Zeit zogen russische, schwedische
und preußische Truppen durch das Herzogthum Lauenburg. Nach der
Schlacht bei Jena zog sich ein Teil der preußischen Armee unter
General Blücher durch das Mecklenburgische nach Lübeck, woselbst es
zwischen den Preußen und Franzosen am 6. November
1806 zu einer blutigen Schlacht kam, in deren Folge auch
Ratzeburg viel zu leiden hatte und mehrfach der Plünderung durch
Franzosen ausgesetzt war. Von nun an blieb das Land bis zu Ende des
Jahres 1813 von den Franzosen besetzt. Im Jahre
1810 ward das Herzogthum Lauenburg mit den Hansestädten
Hamburg, Lübeck und Bremen und den westlichen Ländern an der Nordsee
dem französischen Kaiserreiche einverleibt und zu dem Departement
der Elbmündung geschlagen. Im Jahre 1813 nach der
Schlacht bei Leipzig blieb zwar der Einfluß der Franzosen noch eine
kurze Zeit mächtig, weil Hamburg befestigt und von ihnen unter dem
Prinzen Eckmühl besetzt war, und es fielen im Sommer und Herbst
1813 mehrfache Gefechte an der Stecknitz vor, doch im
Jahre 1814 ward die hannoversche Regierung im ganzen
Lande wieder hergestellt.
Im Jahre 1816 am 16. Juli ward das ganze
Herzogthum Lauenburg mit Ausnahme des Amts Neuhaus und der Dörfer
jenseits der Elbe vom Könige von Hannover in Folge der auf dem
Wiener Kongresse 1815 Statt gefundenen Verhandlungen
zuerst an Preußen, dann aber sofort von Preußen wieder an den König
von Dänemark Frederik VI. und dessen Erben am
dänischen Throne abgetreten. Das Land genoß von der
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Zeit an einer milden und väterlichen Regierung,
und es waren stille Friedens- und Segensjahre, die es unter den
Regierungen der hochseligen Könige Frederik VI.
† 3. Dezember 1839 und Christian VIII.
† 20. Januar 1848 genoß.
Im Laufe dieser Jahre beglückten König Frederik VI. in
den Jahren 1818, 1826, 1833
das Herzogthum Lauenburg und die drei Städte, und König Christian
VIII. im Jahre 1840 das Land und die drei
Städte mit Allerhöchst Ihrem Besuche.
Im Jahre 1819 wurden die Festungswälle abgetragen und
es entstand dadurch der freie Platz vor dem Lüneburger Thore, der
die Demolirung genannt ward. – Im Jahre 1831 wanderte
die Cholera in Deutschland ein und brach auch in den beiden Städten
Mölln und Lauenburg aus, jedoch ohne mit solcher Macht und Gewalt
wie in Lübeck und Hamburg aufzutreten, in welchen Städten sie viele
Opfer forderte. – Im Jahre 1845 ward die seit
700 Jahren bestandene Gelehrtenschule auf dem Dom, die
sogenannte Domschule, von mecklenburg-strelitzescher Seite
aufgehoben. Se. Majestät König Christian VIII.
geruhten allergnädigst, auf allerunterthänigsten Antrag des itzt
lebenden Superintendenten eine Lauenburgische Gelehrtenschule zu
stiften und ward dieselbe im Jahre 1845, Montags
20. October feierlichst eröffnet. – Im Jahre 1846
war der itzige neue Damm, der an die Stelle der früheren hölzernen
Langenbrücke trat, vollendet.
Im Jahre 1844 trat eine Kartoffelseuche ein, die sich
durch alle folgenden Jahre hindurchgezogen hat, und den Preis der
Kartoffeln zu 3 Rthlr. N. 2/3 per Sack
vertheuerte. Erst in diesem Jahre scheint sie nachgelassen zu haben.
– Im Jahre 1846 war große Theurung im Lande, so daß
das Halbfaßbrot auf 18 Schillinge stieg. Se. Majestät
der König Christian VIII. linderte diese Noth durch
bedeutende Geldverwilligung für die Armen
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und durch temporäre Gageerhöhung für die
minderbesoldeten Angestellten.
Im Jahre 1848 brach eine neue Revolution in Frankreich
aus, und zwar am 24. Februar. Der König und die
königliche Familie wurden aus Frankreich vertrieben. Der
revolutionäre Geist brach sich Bahn in Deutschland und bedrohte die
Thronen aller Fürsten und Könige. Leider blieb auch das Herzogthum
Lauenburg nicht ganz frei davon, wenngleich die Bevölkerung im
Ganzen dem revolutionären Wesen abhold war und blieb. Am 27.
März 1848 am ersten Tage des Winterjahrmarktes, nach
dem Sonntage Oculi Vormittags 11 Uhr zog ein
demokratischer Haufe von 400 Leuten unerwartet in
Ratzeburg ein, in der Absicht die königliche Regierung abzusetzen.
Es kam aber nicht dazu, wiewohl der Regierung etliche
Vertrauensmänner aufgezwängt wurden.“
(Es folgt nun eine Beschreibung der bekannten politischen Vorgänge
während der Zeit der schleswig-holsteinischen Erhebung, die auch
Lauenburg in Mitleidenschaft zog, bis 1851 die
landesherrliche Autorität wieder hergestellt wurde.)
„In den Jahre 1848-50 fand auch eine Conversion der
Münze im Herzogthum Lauenburg Statt. Es ward nämlich der alte
Münzfuß aufgehoben, die ehemalige Lübsche oder Dänische grob
Courantmünze und N 2/3 Münze aufgehoben und devalvirt,
und der Conventionsfuß oder das preußische Courant zur Landesmünze
erhoben, so daß 1 Rthlr. Landemünze = 40
ßl. Courant oder 42 ßl. N 2/3 zu
voll.
Im Jahre 1850 Ende des Monats August brach auch in
Ratzeburg die Cholera, welche in Lübeck viele Opfer forderte aus. Es
starben 30 Personen an derselben. Sie zeigte sich nur
in der Fischerstraße und den derselben zunächst belegenen Straßen in
der Wassergegend des Sees.
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Im Jahre 1852 Ostern ward Se.
Excellenz der Herr Baron von Pechlin zum Gouverneur des Herzogthums
Lauenburg Allerhöchst ernannt. Der Herr Etatsrath Susemihl war
erster, der Herr Kammerjunker von Linstow zweiter Regierungsrath,
Herr Kanzleirath Romundt erster Regierungs- auch
Consistorialsecretair, Herr Münch zweiter Regierungssecretair.
Der Magistrat in Ratzeburg bestand aus den Herren Justizrath
Sponagel königlichem Stadtkommissarius, Kanzleirath Jürgens
Bürgermeister, Senator Rusch, Senator Camerarius Wischer, Senator
Kallmeyer, Senator Abel, Stadtsecretair Richter.
Der Rocken galt in dieser Zeit 5 Rthlr. 24
ßl. Landesmünze der Sack, die Tonne Rommeldeus 3
Rthlr. Landesmünze, die Tonne Kartoffeln, die früher 3-4
Rthlr. N 2/3 während der Kartoffelseuche kosteten, ist
nunmehr auf 1 Rthlr. 24 ßl. Landesmünze
herabgefallen.
Indem wir hiemit die Nachrichten bis zum Jahre 1852
schließen, bitten wir den dreieinigen Gott, daß er wolle, wie bisher
so ferner das Herzogthum Lauenburg und unsere Stadt in gnadenreiche
Obhut nehmen, alles Unglück abwenden, Aufruhr, Pestilenz, Feuers-
und Wassersnoth, Krieg und theure Zeiten fern von uns und allen
Geschlechtern unserer Nachkommenschaft halten, daß sein Zion in
unserm Lande grüne und blühe, die reine Lehre und schriftgemäße
Verwaltung der heiligen Sakramente in unsern Kirchen erhalten, die
Jugend in den Schulen zur wahren Gottesfurcht auferzogen werde.
Gott erhalte den König und das ganze Königliche Haus. Gott gieb
Friede in Deinem Lande, Glück und Heil zu allem Stande.
Und Ihr, die Ihr dermaleinst bei der abermaligen Herabnahme dieses
Thurmknopfes diese Zeilen findet
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und leset, möchtet Ihr, die Ihr auf den Gräbern
des itzigen Geschlechts wandelt, dann Euer Zeugniß anschließen
können, daß diese Bitten in Erfüllung gegangen sind.
Geschrieben Ratzeburg am 6. October, dem Geburtstage
Sr. Majestät, Frederik VII. 1852.
CATENHUSEN,
Pastor an St. Petri, Superintendent des Herzogthums
Lauenburg erster geistlicher Assessor des Königlichen
Consistorii, Ephorus der Lauenburg. Gelehrtenschule,
Kommandeur des Dannebrogordens und Dannebrogsmann.“ |
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