Unser Ländchen Lauenburg in
seiner jetzigen Ausdehnung ist bekanntlich der Rest des alten
Askanischen Herzogtums Sachsen-Lauenburg. Seit dem Aussterben dieser
Linie der Askanier im Jahre 1689 hat es mancherlei,
zum großen Teil recht traurige Wandlungen durchgemacht: zuerst kam
es nach mancherlei Kämpfen in den Besitz der Welfen und hat bis
1803 ihnen angehört, dann wurde es von den Franzosen
besetzt, kam dann mit Hannover 1806 in die Gewalt
Preußens, bildete 1807 bis 1810 einen
selbständigen Bezirk unter französischer Verwaltung, wurde
1810 dem französischen Kaiserreiche einverleibt und kam
1814 an Hannover zurück. Im Jahre 1816
erhielt Dänemark das Ländchen durch eine eigentümliche Fügung der
Verhältnisse. Um dieses zu erklären, müssen wir etwas näher auf den
Wiener Kongreß eingehen.
Bei ihrem Bemühen, die durch die Eroberungssucht Napoleons arg
beschädigte Länderkarte Europas wieder auszubessern, betrachteten
die Staatsmänner auch unser Ländchen, dessen angestammtes
Herrscherhaus ja ausgestorben war, als einen höchst willkommenen
Flicken.
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Der Kronprinz von Schweden, der bekannte frühere
Marschall Bernadotte, hatte an dem Feldzuge gegen Napoleon im Jahre
1813 teilgenommen, lediglich aber deshalb, weil
Dänemark auf französischer Seite stand, und weil er diesem Norwegen,
das seit der Kalmarschen Union im Jahre 1397 mit
Dänemark vereinigt war, durch den Sieg der verbündeten Mächte
abnehmen zu können hoffte. Daher zog er gleich nach der Schlacht bei
Leipzig nach dem Norden, kämpfte, nachdem die Franzosen unter
Davoust aus unserer Gegend abgezogen waren, mit den Dänen und erwarb
durch den Frieden zu Kiel Norwegen. Als Entschädigung dafür bekam
Dänemark das schwedische Vorpommern, d. h. das Land nördlich der
Peene mit Rügen. Der preußische Staatskanzler Hardenberg wollte aber
dieses Land auf alle Weise für Preußen erwerben, um endlich einmal
den alten Kampf um Pommern, der seit dem großen Kurfürsten geführt
war, abzuschließen. Zu diesem Zwecke scheute er kein Mittel, denn es
war nicht leicht, Dänemark, an das Preußen nach den
Kongreßverhandlungen keine Forderung zu erheben hatte, zur
Herausgabe zu bewegen. Zunächst trat er mit dem kleinen Nachbarn
wieder in freundlichen Verkehr. Am 25. August
1814 schloß Preußen mit Dänemark einen Frieden zu Berlin,
den man wohl später als einen Familienfrieden bezeichnet hat, weil
ihn für Preußen der Staatskanzler, für Dänemark sein ihm ganz
entfremdeter Sohn Graf Hardenberg-Reventlow unterzeichnete. Im
wesentlichen wurde der Kieler Frieden bestätigt und auch die Zusage,
daß Dänemark für das abgetretene Norwegen noch andere
Entschädigungen als Schwedisch-Pommern erhalten sollte.
Im Vertrauen hierauf kam der König von Dänemark, Friedrich VI.,
nach Wien und hoffte durch persönliche Unterhandlungen hier außer
Vorpommern noch Lübeck und Hamburg oder mindestens das Fürstentum
Lübeck mit Eutin zu gewinnen. Aber wenn man auch
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über seine derben Witze und Späße bei den vielen Mahlzeiten und
Festen, die der Kongreß mit sich brachte, lachen mußte, so machte er
doch kein Geschäft auf diesem großen Markte, sondern mußte
unverrichteter Sache wieder abreisen, ohne eine einzige Seele
gewonnen zu haben, wenn er auch nach Metternichs spitzen Worten *)
alle Herzen gewonnen hatte. Ja, inzwischen büßte er durch die
unglückliche Fügung der Verhältnisse auch noch Vorpommern ein. Die
treuen Norweger hatten nämlich unter Führung ihres bisherigen
Statthalters, des dänischen Prinzen Christian, sich der Vereinigung
mit Schweden widersetzt, hatten ihrem Lande eine selbständige
Verfassung gegeben und ihren Statthalter zum Könige gewählt, aber in
einem kurzen Feldzuge von vierzehn Tagen wurden sie von Bernadotte
besiegt und zur Unterwerfung gezwungen. Der schlaue Franzose
erklärte nun, der dänische König trage an dem Aufstande mit Schuld,
der Kieler Friede sei gebrochen und darum könne Vorpommern nicht
ausgeliefert werden. Dahinter faßte der schlaue, schmiegsame
Staatskanzler Hardenberg, und zwar verständigte er sich zunächst mit
Schweden und erlangte die Erklärung Bernadottes, daß er gegen eine
Geldsumme Vorpommern abtreten wollte, und so gedeckt wandte er sich
an Dänemark und bot ihm einen Ersatz an Land und Leuten, da ja
dieses Land unbestreitbar ein besseres Anrecht auf Vorpommern hatte.
Und da ließ sich nur ein Land finden, das eine Art von Ersatz sein
konnte, und das war eben unser Herzogtum Lauenburg rechts der Elbe.
Einem jeden muß ja auffallen, welch ein Unterschied zwischen beiden
Ländern war: 9 Quadratmeilen für 75,
wenn wir auch im übrigen in Hinsicht auf unsern in mannigfacher
Beziehung so schönen und
____________________
*) Beim Abschiede rief ihm Metternich zu:
Sire, vous emportez tous les coeurs! Der Betrogene aber gab
seufzend zur Antwort: mais pas une seule âme. S.
Treitschke, deutsche Gesch. I, 662, dem
die Darstellung dieser Verhandlungen entnommen ist.
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gesegneten Kreis nicht ganz mit Treitschke *) übereinstimmen können,
der sich über diesen Tausch so ausspricht: „Für die Seefestung
Rügen, das prächtige Stralsund und die Greifswalder Hochschule bloß:
das Grab Till Eulenspiegels und zwei Drittel der guten Stadt
Ratzeburg, denn ihr Domhof gehört dem Strelitzer Vaterlande.“ Eben
nur die Bedrängnis, die Befürchtung, garnichts zu bekommen, ließ den
dänischen König den ihm so ungünstigen Kaufvertrag annehmen; auch
die 2 Millionen Thaler, die Preußen dazu bezahlte,
waren lange kein Ersatz für das Verlorene.
Nun blieben dem Staatskanzler noch die Verhandlungen mit England
übrig, denn Lauenburg war seit 1697 im rechtmäßigen
Besitze des Hauses der Welfen. Preußen war Hannover noch eine
Vergrößerung um 250 bis 300000 Seelen
schuldig, jetzt galt es noch dazu einen Ersatz für Lauenburg, und so
trat denn Friedrich Wilhelm III., wenn auch mit
schwerem Herzen, das treue Ostfriesland und außerdem noch die erst
kürzlich erworbenen Besitzungen Goslar und Hildesheim, sowie einen
Teil von Lingen ab. Am 4. Juni 1815
wurde der Staatsvertrag abgeschlossen, durch dessen Artikel
III der König von Preußen dem Könige von Dänemark das
Herzogtum Lauenburg übertrug, um mit völliger Landeshoheit und
völligem Eigentume nebst seinen Gerechtsamen, Titeln und Einkünften
so in Besitz genommen zu werden, wie besagtes Herzogtum an seine
Preußische Majestät im Wiener Tractat von seiner Britischen Majestät
abgetreten wäre. Das rechts von der Elbe gelegene Amt Neuhaus war
davon ausgenommen, und so erlitt Lauenburg durch die hohe Diplomatie
von neuem eine Verkleinerung, nachdem schon früher das Land Hadeln
abgetreten war. **) Der Übergabe-
____________________
*) a. a. O. 663.
**) S. von Duwe, Mitteilungen S. 786, 787.
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receß ist am 26. Juli 1816 in Ratzeburg
abgeschlossen. Das einzige, was der Krone Dänemark diese Erwerbung
an Stelle von Vorpommern angenehm machen konnte, war die Abrundung,
die dadurch dem Schleswig-Holsteinischen Besitz gegeben wurde, und
eine solche engere Verbindung mit Holstein wurde in der Vertretung
auf dem deutschen Bundestage zu Frankfurt a. M. hergestellt, indem
der dänische Gesandte seine Stimme für beide Länder zusammen abgab.
Im übrigen hatte Lauenburg seinen eignen Statthalter und seine eigne
Verwaltung, und damit war der uralten Trennung der Sassen und
Holsten Rechnung getragen. Doch aber, und das ist der Zweck dieses
Vortrags, wird im folgenden nachgewiesen werden, daß die
Schleswig-Holsteinische Bewegung am Ende der vierziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts auch in Lauenburg ihre Kreise zog, und zwar in
größerem Umfange, als das von den Geschichtsschreibern der neuesten
Zeit angenommen ist. Es ist ja auch leicht zu erklären, daß unser
kleines Land, das in einem ganz anderen staatsrechtlichen
Verhältnisse zu Dänemark stand, in den Hintergrund trat gegen den
begeisterten Freiheitskampf des up ewig ungedeelten
Schleswig-Holstein meerumschlungen und darüber fast vergessen wurde.
Beginnen wir gleich mit dem Ereignisse, das die
Schleswig-Holsteinische Frage in Fluß brachte: mit dem offenen
Briefe des Jahres 1846. Bekanntlich galt nch dem
dänischen Königsgesetze in Dänemark auch die weibliche Erbfolge, und
so war bei dem Aussterben der männlichen Linie des Hauses Oldenburg
in erster Linie der Landgraf von hessen erbfolgeberechtigt, da
dieser mit der Schwester des Königs Christians VIII.
vermählt war; in Schleswig-Holstein dagegen, wo die weibliche
Erbfolge ausgeschlossen war, kamen als Agnaten oder Seitenverwandte
die Augustenburger in Betracht. Diese stammten her von dem bekannten
Freunde Schillers, dem Herzog Friedrich Christian von Augustenburg,
der
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sich 1786 mit einer Tochter Christians VII.
von Dänemark vermählt hatte. Damals, wie jetzt 1846
mit Friedrich VII., war das Aussterben des
Oldenburgischen Mannstammes zu fürchten, und daher hatte der jüngere
Bernstorff jene Heirat zustande gebracht.
Jetzt handelte Christian VIII. feurig,
leidenschaftlich und übereilt, um für seinen Liebling, den
hessischen Landgrafen, zu sorgen und die ihm verhaßten
Augustenburger zu schädigen. Am 8. Juli 1846
erließ er den offenen Brief. Um unklaren und unrichtigen
Vorstellungen entgegenzutreten, verkündigte er, das Erbrecht seiner
königlichen Thronnachfolger in Schleswig werde er aufrecht erhalten,
in einzelnen Teilen von Holstein sei dieses Erbrecht zweifelhaft,
indessen hoffe er die Hinternisse zu beseitigen und die vollständige
Anerkennung der Integrität, d. h. der unberührten Vollständigkeit
des dänischen Gesamtstaates zu Wege zu bringen; im übrigen sollten
die Rechte der Herzogtümer unangetastet bleiben. Dieser offene Brief
brachte eine gewaltige Aufregung in den Herzogtümern hervor. Bei
einer Reise, die der König im September nach Schleswig-Holstein
machte, fand er statt der früheren Wärme des Empfangs eine eisige
Kälte bei der Bevölkerung; er mußte bei der Musterung der Truppen
erleben, daß die Volksmassen unmittelbar neben ihm
„Schleswig-Holstein meerumschlungen“ sangen.
Bekanntlich hat diese Schleswig-Holsteinische Frage eine gewaltige
Bedeutung für Deutschland gehabt. Schleswig, das von der
Eiderdänischen Partei begehrt wurde, gegen diese Gelüste zu
schützen, den verlassenen Bruderstamm zu befreien, das war die
Losung aller, die 1848-50 in Frankfurt a. M. über die
Neugestaltung Deutschlands berieten, und als 1863 mit
Friedrich VII. der Oldenburgische Mannsstamm ausstarb,
da schlug die Befreiungsstunde für die Herzogtümer. Durch eine
wunderbare Fügung der Verhältnisse aber wurde diese
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Befreiung zugleich der Anstoß zu den Kämpfen, in denen die deutsche
Einheit erstritten ist. Wie verhielt sich nun Lauenburg zu dieser
Bewegung? Das Verhältnis zu Dänemark war ein ganz anderes als das
der Herzogtümer Schleswig-Holstein, denn Lauenburg war als
Entschädigung für Vorpommern an Dänemark gekommen. Ob es damit
unzweifelhaft unter dem Thronfolgerechte der dänischen Krone stand,
ist allerdings nicht ganz sicher. Treitschke zwar ist dieser Ansicht
*), und er meint weiter: Die Lauenburger wußten dieses selbst, sie
waren in ihrem altständischen Stillleben nie durch dänische Willkür
gestört worden und ließen sich von den deutschen Nachbarn willig der
Schwäche zeihen, weil sie sich an einem Kampfe, der ihr Landrecht
nicht berührte, nur wenig beteiligten. Dagegen ist zu bemerken, daß
die ständische Vertretung des Landes nach Ausweis der Akten doch mit
Ernst und Nachdruck die Erbfolgefrage behandelte und den dänischen
Ansprüchen entgegentrat. Schon am 28. Dezember
1844 hatte in einer an den König gerichteten Adresse **) die
Ritter- und Landschaft die Selbständigkeit des Landes, dessen
Verfassung und namentlich seine agnatische Erbfolgeordnung gewahrt.
Veranlaßt dazu war sie durch den bekannten Antrag Algreen Ussings in
der Rotschilder Ständeversammlung des Jahres 1844:
„Der König wolle durch eine feierliche Erklärung zur Kunde seiner
Unterthanen bringen, daß die dänische Monarchie ein einziges
ungeteiltes Reich bilde, welches unteilbar nach den Bestimmungen des
Königsgesetzes vererbt werde, und daß derselbe die nötigen Maßregeln
zu treffen wissen werde, um jedes Unternehmen von seiten der
Unterthanen, welches darauf abziele, die Verbindung zwischen den
einzelnen Staatsteilen zu lösen, für die Zukunft zu verhindern.“
____________________
*) Deutsche Geschichte V. 573.
**) S. Untersuchungen über die Staatssuccession im Herzogtum
Lauenburg von Joh. Chr. Ravitt, Kiel 1864. S. 22.
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Am 15. Juli 1846 machte die Regierung in
Ratzeburg der Ritter- und Landschaft Mitteilung vom offenen Briefe,
der ja jenem Antrage entsprach, und gab der Erwartung Ausdruck, daß
vorausgesetzt werden dürfte, die Unterthanen würden mit der
schuldigen Ehrerbietung die Allerhöchste Kundgebung entgegennehmen
und ihr Verhalten danach einrichten. Hiergegen protestierte die
Ritter- und Landschaft am 28. December bei der
Regierung und zwar in einer überaus ruhigen, aber nachdrücklichen
Weise. *) Im wesentlichen wird auch hier der Satz vertreten, durch
jenen offenen Brief werde das dem Herzogtum Lauenburg zuständige
uralte Erbfolgerecht verletzt, denn Lauenburg sei ein altes
deutsches Mannslehen. Als solches habe der Kurfürst von Hannover das
Land besessen und als solches sei es von dem König von
Großbritannien an den König von Preußen, von letzterem gegen
Schwedisch-Pommern an den Vorgänger Christians VIII.
vertauscht. Nicht die Aufwallung des Augenblicks, so heißt es im
Eingange, sondern die ruhige Prüfung der Rechtsverhältnisse haben
uns dabei geleitet, und die genauesten Nachforschungen haben uns
vollkommenes Licht über den Stand der Sache gegeben. Die Lauenburger
haben sich in einem Momente allgemeiner Aufregung aller stürmischen
Demonstrationen enthalten und dadurch einen desto begründeteren
Anspruch an ihre Vertreter gewonnen. Wir sind um so mehr dazu
verpflichtet, da es sich hier um ein verfassungsmäßiges, mit dem
deutschen Staatsrechte eng verbundenes Landesrecht handelt, dessen
Gefährdung ganz Deutschland in eine Aufregung brachte, welche wohl
durch künstliche Mittel in einzelnen Gegenden zu Excessen getrieben
oder mehr verbreitet sein mag, ursprünglich aber aus demjenigen
Nationalgefühle hervorgegangen ist, welches man den Lebenshauch
aller edlen Völker der Erde nennen
____________________
*) S. Aktenstücke zur Lauenburgischen Erbfolgefrage aus den Jahren
1846, 1847, 1849. Hamburg
1864.
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darf. Wenn auch der allerhöchste „offene Brief“ nicht als ein Gesetz
promulgiert, sondern anscheinend nur dazu bestimmt worden ist, um
die Resultate einer commissarischen Untersuchung zur allgemeinen
Kenntnis zu bringen, welche den Beifall des Königlichen Staatsrats
gefunden haben, so läßt sich doch präsumieren, daß selbige die
Richtschnur eines künftigen Verfahrens sein sollen.“
Am Schlusse findet sich die Zusicherung des Gehorsams und der Treue
mit den Worten: „Wir werden unbeschadet dieser Rechtsverwahrung Ew.
Majestät und Höchst-Dero rechtmäßigen Nachfolgern in guten und bösen
Zeiten Treue halten, wie wir es stets unsern Landesherrn gethan
haben; und so verharren wir voll der tiefsten Ehrfurcht als Ew.
Königl. Majestät allerunterthänigst treue gehorsamste Ritter- und
Landschaft des Herzogtums Lauenburg.“ Unterschrieben ist das
Aktenstück von Herrn v. Bülow und zwei Herren v. Schrader.
In ähnlichem Tone gehalten ist der Protest, der neben dieser
Immediatvorstellung an den König auch noch an die Regierung
gerichtet wurde. Da hebt die Ritter- und Landschaft hervor, daß es
ihr schmerzlich gewesen wäre, Verbreiterin eines Dokuments sein zu
müssen, das das Land unfreiwillig und ohne Veranlassung in den
Konflikt der benachbarten beiden Herzogtümer hineingezogen habe,
auch den Einwohnern eine Eröffnung mache, welche in schneidendem
Widerspruche mit den Rechten des Landes stehe. Der Brief sei in
gewissenhafte Erwägung gezogen, und Ritter- und Landschaft fühlten
sich gedrungen, das den Herzogtümern zustehende, uralte Erbrecht
verwahren zu müssen.
Hierauf wurde von der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Kanzlei ein
Gutachten erstattet, von dem ein Auszug herausgegeben ist *), und in
Übereinstimmung
____________________
*) S. Ravit a. a. O. S. 98.
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damit wurde der Ritter- und Landschaft eine Königliche Resolution
eröffnet mit der kurzen Bemerkung, daß der in Beziehung auf die
Erbfolge niedergelegten Verwahrung eine rechtliche Bedeutung nicht
beigelegt werden könne, denn sie stände im Widerspruch mit dem am
2. Oktob. 1816 dem Könige Friedrich
VI. geleisteten Huldigungseide.
Hiermit aber war der Streit noch nicht beigelegt. In einem
Promemoria des Vorsitzenden der Ritter- und Landschaft wurde
erklärt, daß durch jene Resolution vom 23. Juli, die
offenbar möglichst scheu und fast schüchtern abgefaßt sei, in der
Hauptsache nichts verändert wäre. Im weiteren Verlaufe des
Schriftstücks werden aber einige Bedenken geäußert, die Sache jetzt
zum Austrage zu bringen. Vor allem stand der unbedachte
Huldigungseid vom 2. Oktober 1816 als
ein übles Praejudicium im Wege, sodann aber würde es ein politischer
Mißgriff sein, jetzt mit der Landesherrschaft brechen zu wollen,
über deren Regiment sich das „VERWAISTE“ Lauenburg bislang wahrlich
nicht zu beklagen habe, und endlich wird noch hervorgehoben, daß für
einen solchen Bruch auch nicht der Beifall einiger exaltierter
Journalisten das Land zu entschädigen vermöge. Auch wenn man jetzt
nicht vorginge, wären doch die Rechte, die dem Lande zur Seite
ständen, wohl verwahrt und könnten keineswegs alteriert werden.
Beide Teile hätten sich ihre Rechte salviert und alles bleibe
einstweilen in statu quo.
Indessen lag es doch der Ritter- und Landschaft daran, jenen
Huldigungseid von 1816, durch den sich die Stände von
Lauenburg unter die Erbsuccession im Königreiche Dänemark gestellt
haben sollten, in seiner Anwendung auf den vorliegenden Fall zu
entkräften. Aus diesem Bestreben ist die Eingabe vom 28.
December 1847 zu erklären, die wie die desselben
Datums des Jahres 1846 unterzeichnet ist von einem
Herrn v. Bülow und zwei Herren von Schrader. Es wird darauf hin-
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gewiesen, daß jener Huldigungseid erst in der Kirche, an heiliger
Stätte, wo sie verpflichtet werden sollten, den Ständen mitgeteilt
und daß nicht einmal nachher eine abschriftliche Mitteilung
desselben Erfolgt sei. „Es dürfte überhaupt wohl sehr zweifelhaft
sein, ob irgend einem Lauenburger dermalen überhaupt der Inhalt des
dänischen Königsgesetzes bekannt gewesen ist, da solches nie und zu
keiner Zeit im Lande publiciert worden.“ Es wird dann besonders
hervorgehoben, daß, falls eine kursorische Übertragung der
Bestimmungen des dänischen Königsgesetzes auf Lauenburg, nämlich
eine Umwandlung des bisherigen männlichen Erfolgerechtes,
beabsichtigt gewesen sei, daß es in diesem Falle nach
verfassungsmäßigem Herkommen vorher einer Vereinbarung mit der
Ritter- und Landschaft, sowie einer Verhandlung mit den
garantierenden Mächten bedurft hätte, denn, so heißt es weiter, eine
solche Intention wurde gleichzeitig die verbürgte Lauenburgische
Landesverfassung sowohl als die feierlichst abgeschlossenen Verträge
und die iura quaesita mehrerer deutscher Fürstenhäuser verletzt
haben. Diese „gesuchten Rechte“ beziehen sich auf die Ansprüche
verschiedener Fürstenhäuser auf Lauenburg. Schon als 1816
der König von Dänemark die Lauenburgische Stimme beim Bundestage mit
der Holsteinischen vereinigte, verwahrten erst die beiden
Mecklenburgs und dann die drei Askanischen Linien von Anhalt-Dessau,
Bernburg und Köthen feierlichst ihre Ansprüche und Rechte auf
Lauenburg, und ebenso erhoben die beiden sächsischen Linien, die
Ernestinische, wie auch die Albertinische, ähnliche Forderungen. *)
Dieselben Verwahrungen wurden auch nach dem Bekanntwerden des
offenen Briefes geltend gemacht. **)
Übrigens betont auch diese Eingabe der Ritter- und Landschaft im
Schlusse die Pflicht des Gehorsams
____________________
*) von Duve, Mitteilungen über Lauenburg, S. 801.
**) Ravit a. a. O. 24.
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gegen ihren rechtmäßigen Landesherrn, wozu die Stände verpflichtet
seien und woran sie es auch nicht fehlen lassen würden. Anderseits
aber habe die Ritter- und Landschaft die Pflicht, die Rechte des
Landes zu vertreten und sei um so mehr verantwortlich, als die
öffentliche Meinung heutigen Tages zu einer Macht herangewachsen
sei, welche selbst die Regierungen nicht unbeachtet lassen könnten.
Eine Antwort auf diese Vorstellung ist vom Landesherrn nie erfolgt,
denn am 23. Januar 1848 starb König
Christian VIII. von Dänemark. Sein Nachfolger
Friedrich VII., der letzte Oldenburger, riß
bekanntlich, vom Kopenhagener Pöbel gedrängt, Schleswig von Holstein
los und verfügte die Einverleibung des ersteren in das eigentliche
Dänemark. Das war das Zeichen zur Erhebung Schleswig-Holsteins; es
wurde eine provisorische Regierung zur Leitung des bewaffneten
Widerstandes gebildet, und die Sache des verlassenen Bruderstammes
fand begeisterte Unterstützung bei allen Deutschen. Die Pariser
Februarrevolution hatte die Gemüter gewaltig erregt, neben dem Rufe
nach einer Einigung und Neugestaltung des gesamten Deutschlands
erscholl zugleich der nach Abschaffung aller alten ständischen
Vorrechte, nach freier Presse, freiem Vereins- und
Versammlungsrechte, nach einer wirklichen Vertretung des Volkes
durch alle Gaue unseres Vaterlandes.
Eine Darstellung der glorreichen und doch durch äußere Einflüsse so
kläglich auslaufenden Schleswig-Holsteinischen Erhebung gehört nicht
in den Rahmen dieses Vortrags, weil Lauenburg an diesem Kampfe nicht
teilnahm. Das fand äußerlich seinen Ausdruck in dem Verhalten des
Lauenburgischen Jägerbataillons, über welches ich hier einiges
vorwegnehmen muß, das zum Teil aus den Mitteilungen eines
Zeitgenossen, zum Teil aus den Denkwürdigkeiten des Prinzen von Noer
stammt. Das Lauenburgische Jägerkorps stand damals in Kiel, und nur
ein Detachement von 50 Mann lag
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in Ratzeburg. Der Leutnant, der das letztere führte, verließ auf die
Kunde von der Erhebung der Herzogtümer sein Kommando, und dieses
marschierte unter Führung eines Exerciersergeanten Leo aus, um zu
dem Hauptkorps zu stoßen, vermutlich um die Bahn von Hamburg nach
Kiel zu benutzen, in der Richtung nach Hamburg. In Schwarzenbek aber
ging die Abteilung auseinander in die Heimat. Das Gros des
Jägerkorps unter dem Hauptmann Michelsen nahm durch einen
Handstreich Rendsburg zusammen mit anderen Truppen unter Führung des
Prinzen Noer, des damaligen Oberkommandierenden der
Schleswig-Holsteinischen Armee; dann wurde diesem Korps, das
ungefähr 250 Mann stark war, das Kieler Studenten- und
Turnerkorps attachiert, weil Michelsen von Kiel her eine Art von
Autorität unter ihnen war. Aber auf dem Marsche nach dem Norden
verließen die geborenen Lauenburger nach und nach ihre Truppe unter
dem Vorwande, sie hätten mit dem Streite der Herzogtümer und
Dänemarks nichts zu thun. Der Oberkommandierende gab Ihnen, wie er
selbst schreibt, darin vollkommen Recht und befahl, daß man sie
ungehindert gehen lassen sollte; nur ihre Waffen und Montierungen
sollten sie in Rendsburg abgeben. Die Oberbehörde in Lauenburg wurde
von dieser Maßregel benachrichtigt. Später am 25. Mai
stießen dann auf Befehl des deutschen Bundes die zwei Kompagnien
Lauenburgischer Jäger zu den an der dänischen Grenze aufgestellten
Truppen, aber auch jetzt waren sie nach den Aufzeichnungen des
Prinzen Noer so unwillig und nachlässig, daß dieser sie nach Heide
in Dithmarschen sandte, um sie besser zu disciplinieren, während er
darüber korrespondierte, sie sich vom Halse zu schaffen. Nach
weitläufigem Hin- und Herschreiben glückte es ihm endlich, sie los
zu werden, und er ließ sie dann in ihre Heimat zurückführen, wo sie
zu einem eignen Bataillon organisiert wurden.
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Diese Nichtteilnahme an ihrem Befreiungskampfe hat die
Schleswig-Holsteiner sehr gegen die Lauenburger erbittert und zu
Spott und Hohn veranlaßt, ja, auf diese Weise ist zwischen beiden
eine Entfremdung eingetreten, die weit tiefer war, als sie durch die
ganz verschiedene Geschichte beider Länder bedingt wurde. Betrachten
wir die Sache ganz objektiv, so müssen wir einräumen, daß die
Lauenburger damals folgerichtig gehandelt haben, denn sie hatten an
und für sich mit der Schleswgi-Holsteinischen Bewegung nichts zu
thun. Ihre Rechte waren durch jenen Verfassungsbruch nicht verletzt,
die Erbfolgefrage aber, die allein auch Lauenburg anging, war damals
noch nicht brennend, da die männliche Linie der Oldenburger noch
nicht ausgestorben war. Dazu kam noch, daß die Lage des Ländchens
unter dänischer Herrschaft durchaus günstig war und daß man von
einem schweren Drucke der Fremdherrschaft nicht sprechen konnte.
Demgemäß hat sich die Lauenburger Regierung der
Schleswig-Holsteinischen Bewegung gegenüber neutral verhalten, sich
aber anderseits eng an die nationale und liberale Bewegung
angeschlossen, die vom Frankfurter Parlament ausging. diese Bewegung
begann mit dem Streben nach einer wirklichen Vertretung des Volkes,
und so wurde am 26. März 1848 auch von
dem Landratskollegium erklärt, die jetzige Landesvertretung
entspreche nicht mehr dem Geiste der Zeit. Daher werde es sofort
nach der Bekanntmachung der Beratungsversammlung in Frankfurt am
Main, die wir jetzt als das Vorparlament zu bezeichnen pflegen, eine
Versammlung der Ritter- und Landschaft veranlassen, zu welcher nicht
nur die Mitglieder der Ritter- und Landschaft, sondern auch die von
den Städten, sowie dem übrigen Lande zu erwählenden Vertreter des
Bürger- und Bauernstandes eingeladen werden sollten, um zu beraten,
was dem Lande notthue. Nach der älteren
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Verfassung bestanden die Lauenburgischen Landstände aus den
Besitzern der adligen Güter, die persönlich auf den Landtagen
erscheinen mußten und für das Gut eine Stimme abgaben, sowie aus
zwei Abgeordneten für jede der drei Städte, die jedoch für jede
Stadt nur eine Stimme hatten. Der Landmarschall und die Landräte
bildeten den ständigen Ausschuß. Nach der Verfügung vom 10.
April wurde die bisherige Ritter- und Landschaft verstärkt durch
zwei Deputierte aus jeder der drei Städte und zwei Deputierte aus
jedem der sechs ländlichen Sessionsdistrikte, doch sollte diese
Verstärkung nur eine provisorische sein.
Auf diese zeitgemäße Neuerung und auch auf die Stellung zu
Schleswig-Holstein und Deutschland, zu der wir jetzt übergehen,
haben Volksversammlungen, wie sie damals vielfach stattfanden,
eingewirkt. Unter dem Drucke einer solchen, die in Ratzeburg
stattgefunden hatte, erklärte sich am 27. März die
Regierung bereit, alle die provisorischen Maßregeln zu ergreifen,
welche im Interesse des Landes und der gegenwärtigen Konjunkturen
sich als notwendig und unabweislich darstellten, und damit war
besonders die Stellung zur Schleswig-Holsteinischen Frage gemeint.
In dieser erklärte sich damals die Regierung für neutral. Die Mittel
des Landes sollten nicht zu Zwecken verwandt werden, die dem Zwecke
der deutschen Herzogtümer widerstrebten, die Regierung werde volle
Neutralität in Anspruch nehmen und halte kein Landeskind für
verpflichtet weder zu den in Dänemark, noch zu den in den
Herzogtümern befindlichen Truppen abzugehen. Die Regierung verbleibe
in ihrem bisherigen Wirkungskreise und werde sich in allen
nationalen Fragen mit einem Ausschusse in Verbindung setzen, dessen
Mitglieder von der Ritter- und Landschaft zu designieren seien.
Der Ausdruck Neutralität wurde am 18. April 1848
von der Regierung dahin erläutert, daß durch die frühere
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Erklärung in dem Verhältnisse des Herzogtums zum deutschen Bunde,
selbstverständlich nichts habe geändert werden sollen, sondern der
Ausdruck Neutralität habe nur die Bedeutung, daß bei den in den
Herzogtümern Schleswig und Holstein stattfindenden Kämpfen und
Wirren das Land sich nicht selbständig zu beteiligen und ebenso
wenig zu den dort stehenden Truppen, namentlich zu dem ehemaligen
Lauenburgischen Jägerkorps, die Militärpflichtigen einzuberufen
habe, als die Stellung von Truppen und die Verwendung von
Landesmitteln zum Kampfe gegen die deutschen Herzogtümer zuzulassen
habe. Dabei könne es keinem Zweifel unterworfen sein, daß, wenn es
zu einer eigentlichen Kriegsführung zwischen dem deutschen Bunde und
dem Könige von Dänemark komme und von seiten des deutschen Bundes
Anforderungen zur Erfüllung der Bundespflichten an das Land ergehen
sollten, dieses zu einer Verweigerung der Bundespflichten nicht
berechtigt sei, das Land auch in jedem Falle auf den Schutz des
deutschen Bundes zu rechnen haben würde. Im übrigen sei, um dem
Lande die Aufrechterhaltung der Ordnung zu sichern, eine benachbarte
Bundesregierung ersucht worden, eine Abteilung Militär der hiesigen
Regierung zur Verfügung zu stellen.
Wenn wir schon in dieser Erklärung die Absicht deutlich
ausgesprochen finden, sich in dem Falle eines Krieges gegen Dänemark
an die deutsche Sache anzuschließen und sich so von der bisherigen
Herrschaft loszumachen, so wurde die deutsch-nationale Sache noch
kräftiger gefördert durch das Frankfurter Parlament, welches am
7. April eröffnet wurde. Wie dieses die
Schleswig-Holsteinische Sache mit besonderer Wärme und Begeisterung
angriff, so zog es auch Lauenburg in seinen Machtbereich. Durch
Bundesbeschluß vom 16. Juni 1848 wurde
der Geheimrat Dr. Welcker zum Immediatkommissar für
unser Ländchen ernannt, leitete
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also, wenn ich dieses wenig schöne Wort zu übersetzen versuchen
soll, als unmittelbarer Vertrauensmann des Parlaments und des von
diesem gewählten Reichsverwesers, des Erzherzogs Johann, die
Verwaltung von Lauenburg. Welcker machte am 10. Juli
bekannt, daß er bis zur Wiederherstellung eines endgültigen Friedens
zwischen dem deutschen Bunde und Dänemark namens des deutschen
Bundes das Land in Administration genommen habe und jeder Verkehr
von seiten des Herzogtums mit der Regierung und allen Autoritäten in
Kopenhagen abgebrochen sei; alle von dort ausgehenden Verfügungen
seien ungültig und alle früheren eidlichen Verpflichtungen
unwirksam.
Der Kommissar setzte eine interimistische höchste Landesbehörde ein,
welcher während ihrer Dauer alle Einwohner des Landes unterworfen
sein sollten. Alle öffentlichen Diener sollten durch Unterzeichnung
eines Reverses die Verpflichtung übernehmen, sich jedes Verkehrs mit
den königlichen Autoritäten in Kopenhagen zu enthalten. „Alle
kriegspflichtigen Staatsangehörigen würden nun nach den ihnen
zukommenden Befehlen mit freudiger Zuversicht sich unter die Fahnen
des gemeinsamen deutschen Vaterlandes reihen und gemeinschaftlich
mit ihren deutschen Brüdern den durch frühere falsche Maßregeln
veranlaßten Flecken der Lauenburgischen Ehre gänzlich austilgen.“ Am
15. Juli erließ die Landesadministrationskommission
eine Ansprache an die Bewohner des Landes und forderte sie auf für
die Erhaltung der Ruhe im Lande zu sorgen.
Diese von Welcker eingesetzte Kommission bestand aus dem Grafen
Kielmannsegge auf Gültzow, dem Landsyndikus Walther und dem
Justizrat Höchstädt. Als Sekretär begleitete Welcker der berühmte
Dichter Victor von Scheffel. Daß die Thätigkeit dieser beiden Männer
in dem kleinen Lande nicht allzu sehr in Anspruch
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genommen wurde, zeigt das Gedicht, welches Scheffel hier in
Ratzeburg verfaßt haben soll. Der erste Vers lautet:
Es war ein Kommissari,
Der soff bei Tag und Nacht.
Er hatt’ einen Sekretari,
Hat’s ebenso gemacht.
Depeschen, Brief’ und Akten
Macht ihnen wenig Müh’,
Sie kneipten und tabakten
Von spät bis morgens früh. |
In dieses Stillleben, das gegen die Wirren und
Kämpfe des benachbarten Schleswig-Holstein einen schroffen Gegensatz
bildet, wurde dann etwas Abwechslung gebracht durch den
Waffenstillstand zu Malmö. Durch diesen für die deutsche Sache
schimpflichen Vertrag wurden alle seit dem 17. März
erlassenen Gesetze und Verordnungen aufgehoben und eine neue
Landesregierung eingesetzt, doch traten „als zur höchsten Behörde
des Herzogtums Lauenburg Verordnete“ aus der früheren
Landesverwaltung Graf von Kielmannsegge, Justizrat C. F. Walter und
Justizrat A. Höchstädt in die neue Stellung über *), nachdem sie nur
für kurze Zeit ihr Amt niedergelegt hatten. Die zur Ausführung des
Waffenstillstandes ernannten Kommissarien hatten sie dazu berufen,
weil unter ihrer Leitung auch bisher Ruhe und Ordnung dem Lande
erhalten waren.
Bekanntlich führten aber die Friedensverhandlungen nicht zum Ziele,
und der Schleswig-Holsteinische Krieg wurde fortgesetzt. In
Lauenburg trat wieder ein Reichskommissar des Frankfurter Parlaments
in Funktion und zwar der Graf von Wintzingerode, und dieser setzte
am 30. April 1849 eine Statthalterschaft
ein, welche die Regierung in Lauenburg bis zum Frieden mit Dänemark
____________________
*) Lauenburgische Verordnungssammlung 346.
Ausschreiben der K. Regierung vom 21. Nov. 1848.
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führen sollte. Auch diese Statthalterschaft bestand aus den drei
oben genannten Männern, die sich das Vertrauen des Landes erworben
hatten *). Am 14. Mai wurde ein Grundgesetz für das
Ländchen erlassen, welches alle nationalen und liberalen Forderunge
befriedigen sollte. Lauenburg sollte ein selbständiges Staatsgebiet
unter einem Herzoge sein. Gegen den offenen Brief gerichtet war der
Beschluß, die herzogliche Gewalt sollte im Mannsstamm in
absteigender Linie nach dem Rechte der Erstgeburt vererben. Liberal
waren die Beschlüsse, dem Lande sollten durch eine Verfassung
Glaubens- und Gewissensfreiheit, bürgerliche Trauung, Freiheit der
Lehre und Wissenschaft, Schulzwang, allgemeine Wehrpflicht,
Gleichheit der Stände, Abschaffen aller Standesrechte,
Beschwerderecht, Koalitionsfreiheit und Preßfreiheit garantiert
werden. Ferner wurden zugesichert: Teilbarkeit des Eigentums,
Aufheben der Patrimonialgerichtsbarkeit und der Bannrechte,
Jagdfreiheit, Aufheben der Familienfideikommisse, des Lehnrechts,
der Meiereirechte, und eingeführt wurde die Gewerbefreiheit.
Gemeinsam mit dem Herzoge sollte die Landesversammlung die
gesetzgebende Gewalt ausüben. Diese bestand aus einundzwanzig
gewählten Abgeordneten, von denen zwölf durch allgemeine Wahlen und
neun, sechs bäuerliche und drei städtische von den Grundeigentümern
gewählt werden sollten. Damit waren im Prinzip alle nationalen und
liberalen Forderungen jener Zeit, wie sie vom Frankfurter Parlamente
aufgestellt waren, den Lauenburgern eingeräumt, und nun trat die
Landesversammlung zusammen, um die zur Durchführung notwendigen
Gesetze zu beraten.
Mir hat leider nur der erste Band des Berichtes über die
Verhandlungen der Lauenburgischen Landes-
____________________
*) A. a. O. 372. 30. April
Bekanntmachung des außerordentlichen Reichscommissars von
Wintzingerode wegen Einsetzung einer Statthalterschaft für das
Herzogtum Lauenburg.
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versammlung vorgelegen, aber auch dieser zeigt schon genügend, daß
die Wogen des nationalen Denkens und Fühlens in unserem Ländchen
ebenso hoch gingen wie in anderen Teilen Deutschlands. Unter den
Abgeordneten sind Ihnen allen wohlbekannte Namen wie
Susemihl-Ratzeburg, Wentorp-Rothenhausen, Dahm-Mölln,
Rohrdantz-Mölln, von Witzendorf-Groß-Zecher, Kielmann-Lauenburg,
Berling-Büchen, von Levetzow-Steinhorst, Berkemeyer-Groß-Thurow u.
a. Mit großem Eifer haben diese Männer eine ganze Reihe von
Gesetzentwürfen durchberaten und auch schon das Budget für
1850 aufgestellt, für diesen Vortrag kommt aber besonders
die Frage in Betracht: Wie stellte sich die Versammlung zu den seit
dem 10. Juli 1849 eröffneten
Friedensverhandlungen zwischen Preußen und Dänemark. Am 8.
Oktober brachte Levetzow-Steinhorst den dringlichen Antrag ein, dem
Präsidenten der Statthalterschaft den dringenden Wunsch
auszusprechen, daß dieser sich bei den Friedensverhandlungen in
Berlin durch einen Abgeordneten für Lauenburg beteiligen und dafür
Sorge tragen wolle, daß das Grundgesetz vom 14. Mai
1849 in seinen wesentlichen Teilen einen dauernden
Bestand bekäme. Als eine besonders dringende Forderung wurde
hingestellt, das Rechtsverhältnis des Herzogtums Lauenburg als eines
selbständigen deutschen Staatsgebietes sollte nicht beeinträchtigt
werden. Dieser Antrag wurde von der Versammlung in etwas
abgeschwächter Form angenommen, und am 13. Oktober
wurde die Antwort der Statthalterschaft verlesen, in welcher diese
betonte, es sei ihre erste Pflicht bei dem in Aussicht stehenden
Frieden mit der Krone Dänemark die Rechte des Herzogtums zu wahren.
In diesem Sinne habe sie sich mit dem preußischen Minister des
Auswärtigen, Herrn von Schleinitz, durch Absendung des Herrn Rats
Höchstädt in Verbindung gesetzt und die mündliche Zusage erhalten,
möglichst dahin wirken zu wollen, daß Lauenburg bei den Friedens-
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verhandlungen durch einen besonderen Abgeordneten
beteiligt werde. Demnach wolle sich die Landesversammlung überzeugt
halten, daß die Statthalterschaft auch fernerhin alles aufbieten
werde, was in ihren Kräften stehe, die durch das Grundgesetz vom
14. Mai des Jahres bedingte organische Entwicklung des
Landes und die beantragte Feststellung der Verhältnisse des Landes
zum Landesherrn durchzuführen.
Aber alle diese Hoffnungen und Entwürfe machte die Politik der
Großmächte zu Schanden. Alle nationalen und liberalen Bestrebungen
wurden vereitelt durch den Frieden, den besonders unter dem Drucke
Nikolaus des Ersten von Rußland Preußen mit Dänemark abschloß. Dem
Waffenstillstand vom 10. Juli 1849
folgte der Berliner Frieden vom 2. Juli 1850,
und durch Patent vom 8. Januar 1851
wurde die landesherrliche Gewalt im Herzogtum Lauenburg
wiederhergestellt. Als außerordentlicher Kommissar wurde aus
Kopenhagen der Graf Reventlow-Criminil nach Lauenburg gesandt, und
dieser hob das Grundgesetz wieder auf. Mit der Beseitigung des
Grundgesetzes wurde aber auch die infolge dieses in Kraft getretene
Landesverversammlung aufgehoben, und auch die früher zur Verstärkung
der Ritter- und Landschaft gewählten Mitglieder wurden nicht mehr
einberufen. So trat denn die Regierung mit der Ritter- und
Landschaft in ihrer alten Form in Verbindung. Auf diese Weise ging
die Wiedereinsetzung der dänischen Herrschaft mit dem
Wiedereinführen der alten patriarchalischen Zustände vor 1848
Hand in Hand. Bekanntlich hat in materieller Hinsicht unser Ländchen
nicht darunter gelitten; besonders im Gegensatze zu Schleswig, das
auf alle Weise danisiert werden sollte, wurde Lauenburg von
Kopenhagen aus gut behandelt. Doch aber blieb die politische
Stellung zwischen Dänemark und dem deutschen Bunde, der 1850
wieder in Kraft trat, immer eine unglückliche Zwitterstellung. Als
durch das Aussterben
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des Oldenburgischen Mannsstammes mit Friedrich VII. am
Ende des Jahres 1863 die Erbfolgefrage wieder brennend
wurde, da wurden die Verhältnisse Schleswig-Holsteins und Lauenburgs
endgiltig geordnet, und dieses Mal im nationalen Sinne, denn jetzt
ließ sich die preußische Staatskunst, von kräftiger Hand geleitet,
nicht wieder durch den Druck und den Einspruch der Großmächte
lähmen, jetzt wurde der offene Brief für immer vernichtet, von neuem
bekam Lauenburg einen deutschen Herzog an dem mächtigen Könige von
Preußen, und aus der Personalunion ging die dauernde Vereinigung mit
der preußischen Monarchie hervor. Und ich denke, wenn auch die feste
Eingliederung in den Staat der Hohenzollern und damit in das gesamte
Deutschland von dem einzelnen größere Opfer in mancher Hinsicht
gefordert hat und noch fordert, so werden wir es doch ganz besonders
im Hinblick auf die soeben betrachtete Geschichte Lauenburgs von
1815 bis 1850 mit Freuden begrüßen, daß
unser verwaistes, so vielfach umhergeworfenes Ländchen endlich
dauernd Ruhe und Frieden gefunden hat unter den Fittischen des
preußischen Adlers und daß die unklare Stellung zwischen Deutschland
und Dänemark endlich ein Ende genommen hat.
* * *
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