Jahresband 1889
Archiv des Vereins für die
Geschichte des Herzogthums Lauenburg
Der limes Saxoniae in den Kreisen
Stormarn und Herzogtum Lauenburg. *)
Von Professor HANDELMANN in Kiel.
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Ebenso wie das Dannewerk,
welches ich im XIII. Bande der Zeitschrift für
Schlesiwg-Holstein-Lauenburgische Geschichte (1883) abschließend
behandelt habe, beschäftigt mich auch seit Jahren die Grenzscheide
zwischen Sachsen (Deutschen) und Wenden (Slaven), der sogenannte
limes Saxoniae, welcher von der Elbe bis zur Ostsee
reichte. Hier war allerdings kein riesengroßes Grenzwerk, dessen
Ueberreste allen Jahrhunderten Trotz bieten; vielleicht nur ein
niedriger Wall und der dazu ausgehobene Scheidegraben mögen die
Zwischenräume ausgefüllt haben, welche die Flüsse, Seeen und andere
natürliche Grenzlinien frei ließen. Einen solchen Wall von der
Südspitze des Plöner Sees (STADTBEK) bis nach TENSFELDERAU glaubte
der verst. Baurat Bruhns feststellen zu können; es waren auch
Riesenbetten der älteren Vorzeit in die Befestigungslinie
aufgenommen, um Mühe und Arbeit zu sparen (Führer durch die Umgegend
der ostholsteinischen Eisenbahnen II. Auflage S.
226-28). Aber
naturgemäß sind die Spuren solcher kleinen Erdwerke leicht zu
verwischen gewesen, uns so bleibt uns nur die kurze 1889/8 - 100 1889/8 - 101 Angabe des Adam von Bremen, welcher um das Jahr
1075 seine Hamburgische Kirchengeschichte schrieb. Derselbe führt
die Grenzbestimmung auf Karl den Großen und die übrigen Kaiser
zurück; eine etwas ältere Urkunde vom Jahr 1062 nennt namentlich
Otto den Großen. II. Aus diesen wenigen Zeilen Adam’s ist im Lauf der Zeit eine ganze Literatur entsprossen, wobei es sich im Wesentlichen um die Deutung und örtliche Fixierung der angeführten Ortsnamen handelte. Dagegen hat man, meine ich, allzu wenig Rücksicht genommen auf jenen Kranz von uralten Befestigungen und Zufluchtsstätten, welche notwendigerweise an einer viel bestrittenen Grenze entstehen mußten, wo bald die Sachsen, bald die Wenden mit Feuer und Schwert in das Gebiet der Nachbarn eindrangen. Man hat diese Erdwerke (Ringwälle 1889/8 - 101 1889/8 - 102 und Burgwälle, Wallberge, Warten), wo unter dem
Schutz einer waffenfähigen Mannschaft die wehrlosen Familien, das
Vieh und die fahrende Habe geborgen wurden, zutreffend als
Bauernburgen bezeichnet; die Flüchtigen lagerten unter freiem Himmel
oder leichten Hütten. 1889/8 - 102 1889/8 - 103 III. Wenn wir jetzt den limes Saxoniae
begehen wollen, so ist der natürliche Ausgangspunkt an jener Stelle,
wo die beiderseitigen GEESTUFER der Elbe aneinander am nächsten
kommen, beim SANDKRUG von SCHNAKENBEK, dem hannoverschen Städtchen
Artlenburg gegenüber. Hier ist noch im Januar 1851 das
österreichische Armeekorps auf einer Schiffbrücke über die Elbe
gegangen. Auch mag hier, wenn irgendwo, der Punkt zu suchen sein,
bis zum dem der römische Cäsar Tiberius im Jahr 5 n. Chr. von der
Elbmündung stromaufwärts mit Heer und Flotte vordrang. die Römer
lagerten am südlichen Ufer; die bewaffnete Landesjugend war am
nördlichen Ufer – vielleicht in der Striepenburg – aufgestellt. Doch
kam es zu keinem Zusammenstoß, und Tiberius trat den Rückweg an.
Niemals wieder sind die Römer so weit nach Norden vorgedrungen; aber
der Verkehr mit dem Süden dauerte fort, und ohne Zweifel
hauptsächlich auf diesem „herrlichen Paß über die Elbe, welcher den
Herren Herzogen jährlich ein großes einträgt“ (Manecke-Dührsen:
„Beschreibung des Herzogthums Lauenburg“ S. 291). Es ist die
Lüneburg-Lübecker Landstraße! Hier war die herrschaftliche Fähre und
wurde der sogenannte „schwere Zoll“ erhoben; Weine echt
mittelalterliche Abgabe von jedem Wagen, ob beladen oder leer, je
nach der Zahl der Pferde. Eine beabsichtigte Verlegung der Fähre
nach der Stadt Lauenburg mußte auf kaiserlichen Befehl unterbleiben,
um 1182 (Arnold’s Slavenchronik, Buch III, Kapitel
1). 1889/8 - 103 1889/8 - 104 Ostwärts vom Sandkrug führt die Landstraße nach
GLÜSING, wo vormals ein von Schnakenbek herkommender Bach in die
Elbe sich ergossen haben mag. Hier ist von Alters her auf einer
Lichtung im Walde ein stark besuchter Jahrmarkt am Dienstag nach
Johannis, zu welchem auch die Lüneburger und andere Hannoveraner
über Artlenburg in großer Zahl wallfahrteten (Zeise: „Aus dem Leben
und den Erinnerungen eines norddeutschen Poeten“, S. 238). So mögen
hier schon in grauer Vorzeit die Sachsen von beiden Elbufern mit den
benachbarten Wenden verkehrt und gehandelt haben. Aber zu einer
militärischen Völkergrenze eignet die Schlucht des Baches sich
keineswegs, und ich kann nicht zustimmen, wenn man hier die
Mescenreiza suchen will. 1889/8 - 104 1889/8 - 105 wurde. Dieselbe ist urkundlich am Schluß des
16.
Jahrhunderts als uralter ehemaliger „Burgplatz“ (Burgwall) erwähnt,
und man hat hier auch die karolingische Burg Hobuoki
gesucht. IV. Von der Stecknitz-Niederung geht der limes
hinüber in das Quellgebiet der BILLE; denn so allgemein wird man,
meines Erachtens, Bilenispring übersetzen müssen. 1889/8 - 105 1889/8 - 106 bei Linau und die vormaligen Burgen Nannendorf (s.
Abschnitt V), Steinhorst, Duvensee, Ritzerau und Borstorf hier
aufgezählt werden, von wo aus im 13. Jahrhundert die
Lüneburg-Lübecker und die Lübeck-Hamburger Handelsstraßen unsicher
gemacht wurden, deren Burgberge aber vielleicht älteren Ursprungs
sind (Zeitschrift Bd. X, S. 17-22 und Bd.
XI, S. 243-47; Vaterl.
Archiv für d. H. Lbg. Bd. IV, S. 60-67 und
102-3; Manecke-Dührsen S.
363 u. ff.) V. Liudwinestein halten einzelne Erklärer für einen Grenzstein oder für einen Gedenkstein, wie ein solcher nach Adam’s Erzählung an der Fuhrt bei Agrimeswedel (Tensfelderau) gesetzt war. Andere, die an einen befestigten Ort dachten, haben auf STEINHORST geraten, oder indem sie an der abweichenden Lesung Budw. festhielten, auf das Dorf BODEN. Endlich Archivrath Beyer wollte eine sprachliche Verwandschaft zwischen Liudwine-Stein und Lovenze = Loven-See (?) beim jetzige Dorfe LABENZ annehmen und daselbst den Grenzpunkt fixiren. Er berief sich dafür auf die im Jahre 1167 geschehene urkundliche Feststellung der Grenze zwischen den Bisthümern Ratzeburg und Lübeck, die aber nach seiner eigenen Ansicht niemals zur völligen Gültigkeit gelangt ist. 1889/8 - 106 1889/8 - 107 Ich denke meinerseits an die sogenannte STEINBURG an der holstein-lauenburgischen Grenze zwischen den Dörfern SPRENGE und FRANZDORF. Auf holsteinischer Seite führt jetzt ein königliches
Gehege diesen Namen; auf lauenburgischer Seite ward eine
Anbauerstelle so genannt, welche jedoch vor einigen Jahren
abgebrannt und nicht wieder aufgebaut ist; das Terrain wurde geebnet
und wird bewirtschaftet. Das Ganze ist eine steinige Anhöhe, deren
höchste Kuppe bis zu 85 m über den Spiegel der Ostsee emporragt; von
da hat man eine weite schöne Aussicht. Es kann wohl kein Zweifel
sein, daß diese Anhöhe gemeint war in der urkundlichen
Grenzbestimmung zwischen den Dörfern EICHEDE und SPRENGE vom J.
1288, wo es heißt: „per locum qui dicitur collumstenberg“.
Der erste Teil des letztgenannten Wortes läßt weder eine lateinische
noch eine niedersächsische Erklärung zu, und ich vermute daher, daß
der Schreiber, wie gleich nachher ähnlich, erst bei der letzten
Redaktion nachträglich das erläuternde, aber überflüssige „locu
qui dicitur“ eingeschoben hat, und daß also vielmehr zu
lesen wäre: „per . . . collem (nicht
collum) Stenberg“; der „Hügel Stenberg“
aber entspricht geradezu der „steinigten Anhöhe“, wie die
Topographie sich ausdrückt. 1889/8 - 107 1889/8 - 108 Fundamentsteine gelten konnten. Jetzt ist damit
zum Behuf von Häuser- und Wegebauten auch hier ziemlich aufgeräumt;
aber vor circa fünfzig Jahren war die Bergkuppe mit einer Menge
planlos umherliegender großer Granitfelsen bedeckt. Auch war
daselbst eine Vertiefung, aber ohne Steinmauer, welche man für einen
vormaligen Keller hielt; dabei ist jedoch zu bemerken, daß in
früheren Zeiten auch öfter nach Schätzen gegraben war. Ziegelsteine
und Dachziegel sind, soweit erinnerlich, niemals gefunden worden;
dagegen sind damals Gräben und Umwallung noch mehr hervorgetreten
als jetzt. 1889/8 - 108 1889/8 - 109 Wispircon wird so gut wie einstimmig als KLEIN-WESENBERG an der Trave gedeutet. Auf einer großen Strecke zwischen hier und Liudwinestein erscheint der kleine Fluß GRINAU als eine sehr geeignete Grenzscheide; darin stimme ich mit Archivrat Beyer überein, während ich der Barnitz ebensowenig eine militärische Bedeutsamkeit für den limes zuschreiben kann, wie der schon erwähnten Lovenze (Steinau). VI. Die TRAVE ist das Ziel unserer diesmaligen
Wanderung. Gewiß wäre dieser Fluß bis über Segeberg aufwärts eine
überaus brauchbare natürliche und militärische Grenzscheide gewesen;
aber so lange wir gar keine Hoffnung haben, die beiden nächsten
Ortsnamen Birznig und Horbistenon deuten
zu können, läßt sich über die wirkliche Richtung der Grenzlinie
nichts sagen. Auch der „Wald Travena“ giebt keinen
Anhalt; ich sehe gar keinen Grund, besonders an Travenhorst
(Kirchspiel Gnissau) zu denken, da das ganze Flußgebiet der Trave
größtenteils ein Waldrevier war. Erst in Bulilunkin
(BLUNK, Kreis Segeberg) gewinnen wir wieder einen unzweifelhaften
Grenzpunkt.
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