Der SACHSENWALD, zu dem schon
um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts nur noch der Theil
gerechnet wurde, welcher zwischen der Bille und den Dörfern
Wohltorf, Möhnsen, Kröpelshagen, Brunstorf, Schwarzenbek, Havekost,
Kasseburg und Kuddewörde belegen ist, gehört zu den Ueberresten
jenes großen Waldes, welcher vormals die ganze Gegend zwischen der
Bille, Elbe und Delvenau bedeckte und der zu Karl des Großen Zeit
DELWUNDEZ hieß. Das Gebiet, in welchem er lag, wurde DELBENDE genannt, während zu Heinrich des Löwen Zeit der Name SADELBENDE in
den Urkunden gebraucht wird.
Während des ganzen zwölften Jahrhunderts geschieht dieser Gegend als
einer wenig cultivirten Erwähnung, aber bereits hundert Jahre später
werden Dörfer genannt, welche inzwischen dort gegründet worden waren
oder sich mit ihren Feldern weiter ausgedehnt hatten, und im Laufe
der Jahrhunderte haben die Ansiedelungen sich so sehr vermehrt und
ausgebreitet,
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*) Autorisirter Abdruck aus der Belletristisch-Literarischen Beilage
der Hamburger Nachrichten vom 29. Dezember 1888 und
5. Januar 1889.
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daß von dem alten Delwundez nur noch Bruchstücke übrig geblieben
sind, unter denen der Sachsenwald die bei weitem größte Fläche
einnimmt.
Zum ersten Male als Gegenstand eines Vertrages erscheint der Wald im
Lande Sadelbende kurz nachdem Herzog Albrecht I. von Sachsen, in
Folge der siegreichen Schlachten gegen die Dänen, bei Mölln
1225 und
bei Bornhöved 1227, die nördlich der Unterelbe belegenen Gebiete
seines Herzogthums zurückerhalten hatte. Der Erzbischof von Hamburg
und Bremen nämlich, Gerhard II., machte dem Herzoge u. a. die
Hoheits- und Eigenthumsrechte an dem Walde zwischen der Bille und
der Elbe streitig und erlangte von ihm eine Urkunde, vom 15. Mai
1228, nach welcher er sich aller Ansprüche auf denselben begiebt,
ihn aber dann von dem Erzbischof zu Lehen nimmt. Zu gleicher Zeit
hatte der Herzog auch auf die rechts von der Bille beanspruchten
Waldungen Verzicht geleistet, muß aber daselbst noch andere
Besitzungen gehabt haben, denn er schenkt noch im Jahre 1238 dem
Nonnenkloster zu Reinbeck seinen Antheil an dem Dorfe Grande und die
Hälfte des Dorfes Reinbeck, welche beide an der rechten Seite der
Bille belegen sind.
Fast ein volles Jahrhundert vernimmt man dann nichts über etwaige
Streitigkeiten in Betreff dieses Waldes, dann aber wird er, nebst
einigen anderen Gebieten des Herzogthums, etwa im Jahre 1323, dem
Grafen GERHARD dem Großen für gewisse Forderungen zur Sicherheit
bestellt, gegen Ende des Jahrhunderts aber der Stadt LÜBECK verpfändet, woraus sich dann eine lange Reihe von Streitigkeiten
ergiebt, in welche im Jahre 1420, auch die Stadt HAMBURG hineingezogen wird und welche eigentlich erst im Anfange des
achtzehnten Jahrhunderts ihr Ende gefunden haben, und zwar nachdem
die Belehnung des BRAUNSCHWEIG-LÜNEBURGISCHEN Fürstenhauses mit dem
Herzogthum Lauenburg durch den Kaiser erfolgt war.
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Die erste Veranlassung zu diesen Verwickelungen hat die
MÖLLN-BERGEDORFER Linie des lauenburgischen Herzogshauses gegeben,
welche, von 1305 bis zu ihrem Aussterben im Jahre
1401, einen Theil
des Herzogthums Sachsen-Lauenburg besaß, worauf wir weiterhin noch
zurückkommen werden.
Nach dem im Jahre 1260 erfolgten Tode Albrecht des Ersten hatten
dessen Söhne Johann und Albrecht sich in das Herzogthum Sachsen
getheilt, wobei ersterer die nördlichen, größtentheils an der Elbe
belegenen Länder erhielt, und, als Johann I., der Stammvater der
Sachsen-Lauenburgischen Herzoge wurde, während Albrecht die
südlichen Gebiete bekam und die Sachsen-Wittenbergische Linie
gründete, bei welcher schließlich auch die Churwürde verblieb.
Johann des Ersten Söhne, Johann Albrecht und Erich regierten
zunächst gemeinschaftlich das Land, dann aber, 1305, wurde es
dergestalt unter sie getheilt, daß Johann unter dem Namen Johann
II.
Stadt und Schloß Mölln nebst den dazugehörigen Gebieten, Stadt und
Schloß Bergedorf nebst Zubehör sodann Gamme, die Vierlande mit dem
Schloß Riepenburg und endlich das links von der Elbe belegene Land
Hadeln erhielt, während die übrigen Besitzungen Albrecht dem Dritten
und nach dessen bereits 1308 erfolgten Tode Erich
I. zufielen.
Johann II. starb 1321 und hinterließ einen unmündigen Sohn Albrecht,
für welchen zunächst dessen Mutter ELISABETH, EINE
SCHWESTER DES GRAFEN GERHARD VON HOLSTEIN, als Vormünderin regierte. Sie gab ihrem
Bruder das ganze Gebiet ihres Sohnes, seine Nutzungsrechte am
Sachsenwald mit einbegriffen, in Pfand, für einen Betrag von
6000
Mark löthigen Silbers, den der Graf in einer, durch die Herzogin
noch zu Lebzeiten ihres Gemahls heraufbeschworenen, Fehde gegen
Erich I. von Lauenburg, aufgewendet haben sollte.
Nachdem Albrecht IV. (wahrscheinlich im Jahre 1330) die Regierung
selbst angetreten hatte, verpfändete er nochmals sein ganzes Gebiet
an den Grafen Gerhard, und zwar wegen
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eines Betrages von 10,000 Mark löthigen Silbers, den letzterer der
Mutter des Herzogs mitgegeben hatte, als diese sich im Jahre 1330
mit dem Könige Erich von Dänemark vermählte. Eine Besitzübertragung
scheint indessen nicht stattgefunden zu haben, und die
Verbindlichkeiten gegen den Grafen, müssen wohl noch zu Lebzeiten
Albrecht IV. gelöst worden sein, denn die Söhne desselben, Albrecht
V. und Erich, verkauften, vorbehältlich des Wiederkaufs, bald nach
des Vaters Tode, im Jahre 1359, Schloß und Stadt MÖLLN mit dem See
und der Vogtei an die Stadt LÜBECK für 15,580 lübische Gulden und
Erich III., nachdem er seinem Bruder Albrecht V., nach dessen Tode,
in der Regierung gefolgt war, verpfändete 1370 auch noch SCHLOSZ
UND STADT BERGEDORF, die ihm zustehende Hälfte der Nutzung am
SACHSENWALDE, ferner GEESTHACHT, DIE VIERLANDE mit dem SCHLOSZ
RIEPENBURG und das Land HADELN an Lübeck für 26,019 lübische Gulden.
Die kurze Regierungszeit Erich III., der übrigens dem geistlichen
Stande als Canonicus angehörte, ist für die lauenburigschen Lande in
hohem Grade verhängnisvoll geworden, denn nicht nur gab er beinahe
seine sämmtlichen Lande in die Hände der Stadt Lübeck, sondern er
erlaubte auch bereitwillig denjenigen seiner Lehnsleute, die ihn
darum baten, ihre Güter zu verkaufen und zu verpfänden, so daß eine
nicht geringe Anzahl adeliger Besitzungen in die Hände von Lübecker
Bürgern, der Stadt Lübeck und des Stifts Ratzeburg kamen, woraus in
der Folge die ärgsten Zwistigkeiten entstanden.
Zum Glück für das Land starb Erich III. schon im Jahre
1401, und
damit war die Mölln-Bergedorfer Linie erloschen. Ihre Antheile
fielen nun an die Ratzeburgisch-Lauenburgische Linie zurück, und
zwar an den Sohn Erich II., der im Jahre 1368 seinem Vater gefolgt
war und der sich, nach Erich III. von Mölln Tode, nun ERICH
IV.
nannte. Aber er fand fast die gesammten Besitzthümer in fremden
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Händen. Ohne Geldmittel, um dieselben einlösen zu können, beschloß
er, sich mit Gewalt wenigstens eines Theiles derselben zu
bemächtigen. Er begab sich zu dem Ende auf das Schloß Bergedorf,
verjagte den dortigen Befehlshaber der Stadt Lübeck, den RITTER
OTTO VON RITZERAU, nahm Besitz von dem festen Schlosse und erklärte sich
zum Herrn aller von Erich III. der Stadt Lübeck verpfändeten
Besitzthümer. Er wagte dies vielleicht nur, indem er sich auf den
Herzog Albrecht von Mecklenburg verließ, mit dem er in
freundschaftlichen Verhältnissen stand, und in der That brachte er
es dahin, daß ihm in Folge eines Vergleichs vom 21. Oktober
1402
Schloß und Stadt BERGEDORF, die verpfändete Nutzung aus dem
SACHSENWALD, die VIERLANDE, Schloß RIEPENBURG, GAMME, das Land
HADELN, kurz alle von Erich III. verpfändeten Gebiete überlassen
blieben. die Pfandsumme von 26,019 lübischen Gulden wurde auf Mölln
gelegt, mit der Bestimmung, daß dem Herzog, sowie auch seinen Erben,
die Einlösung von Mölln freistehen solle, wenn die Pfandsumme auf
einmal bezahlt würde. Es unterliegt somit keinem Zweifel, daß der
Herzog sich nunmehr in vollkommen rechtmäßigem Besitz der genannten
Gebiete befand; allerdings war die Art und Weise, in welcher er sich
zunächst in Besitz gesetzt hatte, eine, selbst für die damaligen
Begriffe, sehr ungewöhnliche, man muß sich aber auch daran erinnern,
daß Mölln allein vollkommene Sicherheit für beide, an Albrecht
V.
und Erich III. hergeliehenen Geldbeträge darbot.
Es scheint übrigens, daß der gehabte Erfolg Erich IV. lüstern
gemacht hat, auf dem einmal eingeschlagenen Wege fortzufahren, denn
als im Jahre 1409 die Zünfte in Lübeck mit den Patriziern und dem
Rath im Streit lagen, gestattete er, daß sein Sohn, der nachherige
Herzog Albrecht V., ein kriegerischer Herr, die Stadt Mölln ohne
Weiteres angriff und nach kurzer Beschießung sammt dem Schlosse
eroberte. Er konnte indessen beide nicht behaupten und zog daher
wieder ab, jedoch
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nicht ohne die Stadt vorher geplündert und beim Ausrücken an allen
vier Ecken in Brand gesteckt zu haben. Nunmehr begannen die Lübecker
die herzoglichen Lande zu verwüsten, bis endlich durch Vermittelung
des Herzogs Heinrich von Braunschweig und der Städte Lüneburg und
Hamburg im Januar 1410 ein Vergleich abgeschlossen wurde, nach
welchem Mölln bei Lübeck verbleiben und den Lübeckern verschiedene
Zollerleichterungen bei der Stecknitzschifffahrt zu Theil werden
sollten. Dagegen verpflichtete sich der Rath der Stadt Lübeck, dem
Herzog Erich IV. jährlich 300 Mark lübisch zu zahlen, wofür dieser
die Stadt Mölln und die Landstraßen zu schützen versprach.
Mit Hamburg schloß Erich IV. am 2. Mai desselbigen Jahres einen
Vertrag ab, nach welchem es dieser Stadt gestattet sein sollte, die
Bille aufzuräumen und, gegen Erlegung eines Zolles in Bergedorf,
HOLZ AUF DERSELBEN ZU FLÖSZEN; doch sollte das zu Wagen nach
Bergedorf geschaffte Holz, nach alter Gewohnheit, von der Abgabe
frei bleiben.
Somit schien das gute Einvernehmen mit den beiden Hansestädten wohl
befestigt zu sein, aber es zeigte sich bald, daß Lübeck nur auf
Gelegenheit sann, um mit dem Herzoge wieder anzubinden. So lange
Erich IV. lebte, wurde der Friede indessen nicht mehr gestört und
auch die ersten Regierungsjahre Erich V., der seinem im Jahre
1412 verstorbenen Vater gefolgt war, herrschte noch Ruhe.
Als aber dann Erich V. das Recht, die Stadt Mölln wieder einzulösen,
geltend zu machen versuchte, bestritt ihm der Rath von Lübeck
dasselbe, weil Lübeck seit 1409, die Stadt Mölln mit dem Recht des
Eroberers besitze. Zugleich weigerte sich der Rat, die dem Herzoge
von Lauenburg, kraft des Vertrages von 1410, versprochenen
300 Mark
lübisch zu zahlen, zumal die Unsicherheit der Straßen größer sei als
je zuvor, der Herzog also seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen
sei. Eine Menge anderer Beschwerden wurden, sowohl seitens der Stadt
Lübeck als der Stadt Hamburg,
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besonders wegen des Räuberunwesens auf den Straßen erhoben, und es
bedurfte in der That nur eines äußeren Anstoßes, um den Ausbruch
neuer Feindseligkeiten herbeizuführen.
Zunächst klagte indessen Erich V. beim König Sigismund, sowohl wegen
der verweigerten Herausgbe von Mölln, als auch wegen der
unterlassenen Zahlung von 300 Mark Schutzgeldern, und als der Rath
von Lübeck den ergangenen ungünstigen Urtheilen keinen Gehorsam
leisten wollte, erfolgte 1418 die Achtserklärung, die indessen auf
Verwendung der benachbarten Fürsten und Städte bereits im nächsten
Jahre wieder aufgehoben wurde. Die Gefahr eines Krieges schien also
wiederum abgewendet, aber im Jahre 1419 bot sich die von Lübeck und
nunmehr auch von Hamburg gesuchte Gelegenheit, gegen den Herzog
vorzugehen.
Der MARKGRAF VON BRANDENBURG nämlich, Friedrich I. von Hohenzollern,
hatte am 1. Mai 1419 den jungen Herzog Johann von Stargard, gefangen
nehmen und nach Tangermünde bringen lassen. In Folge dessen hatten
die Herzöge Johann und Albrecht von Mecklenburg-Schwerin und Otto
von Stettin, dem Markgrafen Fehde ansagen lassen, welcher sich ERICH
V., als deren Verbündeter, anschloß. Sie hatten gemeinschaftlich
etwa 1000 Mann zusammengebracht, mit denen sie in die Mark einfielen
und das Städtchen Straßburg belagerten; sie wurden aber mit
bedeutenden Verlusten abgeschlagen und zogen sich in großer
Unordnung zurück.
Obwohl nun die Städte LÜBECK und HAMBURG mit dieser Fehde nichts zu
thun hatten, trafen sie dennoch am 2. Februar 1420 eine
Uebereinkunft, nach welcher sie sich dem Markgrafen gemeinschaftlich
als Verbündete antragen wollten, worauf dieser auch einging, und nun
sandte Lübeck am 7. Juli 1420, und Hamburg am 8. desselben Monats,
dem Herzog Erich V. einen Fehdebrief zu, und schon am
10. Juli
griffen die Bürgermeister JORDAN PLESKOW VON LÜBECK und HEINRICH
HOYER VON HAMBURG das Schloß Bergedorf mit 2000
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Mann Fußvolk, 1000 Schützen und 800 Reitern an und zwangen dasselbe
in wenigen Tagen zur Uebergabe. Das herzogliche Schloß Kuddewörde
wurde bis auf den Grund zerstört und die Riepenburg, welche nur eine
ganz schwache Besatzung hatte capitulirte.
Da Herzog Erich nicht hinreichend gerüstet war, um den Kampf mit den
beiden Städten aufzunehmen, und seine Verbündeten ihm nicht helfen
konnten, so mußte er sich wohl oder übel entschließen, einem am
23. August 1420 zu Perleberg verabredeten Friedensschlusse beizutreten,
nach welchem er für sich und seine Erben das Schloß BERGEDORF mit
Allem was zu demselben gehörte, GAMME, GEESTHACHT, die VIERLANDE,
die RIEPENBURG und den Zoll zu EISLINGEN, endlich aber auch die
HÄLFTE DER NUTZUNGEN AM SACHSENWALDE, mit Ausschluß der Jagd, an die
beiden Städte abtrat, und endlich auf die 300 Mark von der Stadt
Lübeck verzichtete.
Zwar hatte er sich noch am Tage des Friedensschlusses von den
Herzogen Johann von Mecklenburg und Casimir von Stettin in einer
Notariatsurkunde bescheinigen lassen, „daß er und seine Brüder,
bevor die Städte Hamburg und Lübeck kriegerisch gegen sie
aufgetreten seien, sich erboten gehabt, wegen aller und jeder
bisherigen und zukünftigen Streitigkeiten, in Profan- und
Criminal-Angelegenheiten, nicht blos vor zu wählenden
Schiedsrichtern, sondern auch vor dem Kaiser Sigismund sich zu
unterwerfen, daß aber die beiden Städte, ohne hierauf, sowie auf die
Vermittelungsversuche anderer Fürsten Rücksicht zu nehmen, sich der
Schlösser Bergedorf und Riepenburg mit Zubehörungen und Zöllen zu
Eislingen (welche er, der Herzog, und seine Brüder von ihrem Vater
geerbt und ruhig besessen gehabt) nebst anderen Ortschaften und
einzelnen Höfen, woraus sie, die Herzoge, eine jährliche Einnahme
von 3000 Mark gehabt, plötzlich mit Gewalt bemächtigt und durch
Zwang eine urkundliche Abtretung jener Besitzungen, sowie
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die Rückgabe einer Urkunde, vermöge derer die Stadt Lübeck zur
jährlichen Zahlung von 300 Mark verpflichtet gewesen, erpresset,
weshalb er dann für sich und seine Brüder dagegen als etwas, durch
Furcht, der selbst ein muthiger Mann nicht haben widerstehen können,
und durch Waffengewalt Abgepreßtes feierlichst protestire“, - aber
einen weiteren Gebrauch hat der Herzog von dieser Acte nicht
gemacht. Dieselbe scheint vielmehr auch bei seinen Nachfolgern in
Vergessenheit gerathen zu sein, bis sie endlich nach Verlauf von
zweihundert Jahren, unter der Regierung des Herzogs Franz Julius,
wieder aufgefunden und von diesem im Jahre 1627 benutzt wurde, um
eine Klage beim Reichshofrathe wegen Rückgabe der zum Reichslehen
gehörigen Gebiete anzustrengen. Der Reichshofrath erkannte indessen
nach Verlauf von 45 Jahre, am 2. Januar
1672, gegen Lauenburg, so
daß die beiden Städte in Besitz des inzwischen aus diesen Gebieten
gebildeten Amtes Bergedorf verblieben.
ANDERS VERLIEF DAGEGEN DIE ANGELEGENHEIT WEGEN DES SACHSENWALDES.
Nachdem während des ganzen vierzehnten und fünfzehnten jahrhunderts
weitere Streitigkeiten um die Nutzungen aus dem Sachsenwalde nicht
vorgekommen waren, war im folgenden Jahrhundert der HERZOG FRANZ
I.
(1543-1581) plötzlich mit der Behauptung aufgetreten, daß die beiden
Städte nur in dem kleinem Gebiete des Sachsenwaldes, welches heute
noch Wiedenort genannt wird, mitberechtigt seien. Er verhinderte sie
mit Gewalt an der Mitbenutzung in den übrigen Theilen, und in Folge
dessen reichten die Städte im Jahre 1549 beim Reichskammergericht
eine Klage wegen Friedensbruchs und Grenzverrückung ein. Das Gericht
erließ am 29. Januar 1561 ein für den Herzog ungünstiges Erkenntnis
und verurtheilte ihn zum Schadenersatz, sowie in die Kosten. Da der
Herzog sein Verhalten den Städten gegenüber nun dennoch nicht
änderte, so erließ das Reichskammergericht zwei Befehle
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vom 22. Juli und 10. September 1562 an den Herzog, daß er dem
ergangenen Erkenntnis zu gehorsamen habe. Diese Befehle hatten
indessen nicht den geringsten Erfolg, denn weder Franz I. noch sein
ihm in der Regierung nachfolgender Sohn Franz II., kümmerten sich um
dieselben, und als gegen letzteren ein erneuter Befehl vom 31.
Oktober 1606 erlassen wurde, versuchte er das Rechtsmittel der
Revision, womit er jedoch, durch Bescheid vom 7. Juli
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abgewiesen, in eine Strafe von 20 Mark löthigen Goldes genommen und
mit der Acht bedroht wurde, wenn er den Befehlen des
Reichskammergerichts nunmehr nicht Folge leisten würde.
Aber FRANZ II. kümmerte sich auch jetzt nicht um die Befehle,
ebensowenig seine ihm in der Regierung nachfolgenden Söhne AUGUST und JULIUS
HEINRICH, welch’ letzterer 1665 starb. Ungeachtet der in
Folge fortgesetzter Weiterungen auf’s Neue, und zwar unterm 7.
März
1656 und unterm 25. Oktober 1659, ergangenen Urtheile und Befehle,
führen sie fort, die Städte in der Mitbenutzung des Sachsenwaldes zu
stören, und nun faßte der HAMBURGISCHE KRIEGSRATH den Beschluß, vier
bewaffnete Reiter abzusenden, welche den Befehl hatten, die
städtischen Leute gegen die Gewaltthätigkeiten der Herzoglichen zu
schützen. Da indessen mit diesen geringen Kräften nichts
auszurichten war, und als ein weiteres Urtheil, vom 21. März
1662,
in welchem beiden Theilen eingeschärft wurde, sich der Nutzungen am
Sachsenwalde, mit Ausnahme der Jagd, welche den Herzogen allein
zustand, nicht anders als zu gleichen Theilen zu bedienen, keine
Aenderung brachte, so beschloß nunmehr der HAMBURGISCHE
KRIEGSRATH am 4. November 1662, dreißig Mann zur Wahrung der städtischen
Rechte nach dem Walde zu schicken, worauf auch LÜBECK sich bereits
erklärte eine gleiche Anzahl zu stellen. Durch Beschluß vom
4.
November 1663 wurde die Mannschaft auf 40 Mann erhöht, wozu
ebensoviel von Lübeck hinzukommen sollten.
Daß es zu Gewaltthätigkeiten gekommen wäre, darüber
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wird nichts berichtet und dunkel bleibt es, aus welchen Gründen noch
ein ferneres Beweisverfahren aufgenommen worden ist, mittelst
Anhörung einer großen Anzahl von Zeugen, commissarischer
Besichtigungen und ANFERTIGUNG EINER KARTE durch zwei auswärtige
Feldmesser. Gewiß ist aber, daß in Folge dieses Verfahrens ein neues
reichskammergerichtliches Erkenntniß unterm 12. Dezember
1670 erlassen wurde, des Inhalts:
„daß die beiden Städte, zufolge des am 10. April und
13. November
1663 ergangenen Urteils, der Gebühr nach erwiesen hätten, also und
dergestalt, daß Alles was zwischen Wohltorf, Kröpelshagen,
Dassendorf, Brunstorf, Schwarzenbeck, Havekost, Möhnsen, Kuddewörde
und dem Flusse Bille belegen, für den Sachsenwald zu halten und
deshalb die Kläger, nunmehr bei dem allbereits im Jahre 1662 den
21.
März zuerkannten Genuß der Hälfte dieses Bezirkes, allerdings und
gänzlich zu belassen seien.“
Als nun der damalige regierende Herzog, JULIUS FRANZ, der übrigens
der letzte seines Stammes war, auch gegen diesen Erlaß protestirte
und das Rechtsmittel der Revision versuchte, beschloß der
HAMBURGISCHE KRIEGSRATH, im Einverständniß mit dem LÜBECKER
MAGISTRAT, am 16. August 1671, einstimmig, nunmehr „NACH
KRIEGSMANIER“ zu verfahren, und verstärkte Streitkräfte nach dem
Sachsenwalde abzusenden. Da indessen „die Leute des Herzogs von
Sachsen an Reutern, Schützen, Soldaten und Bauern ziemlich stark
seien“, so wurde auf Rath der Lübecker beschlossen, die bisherige
Mannschaft auf 180 Mann unter zwei Officieren, und mit zwei
Feldstücken, zu verstärken, und nöthigenfalls fernere
200 Mann, von
jeder der beiden Städte nachzuschicken. Jedoch sollten die
Mannschaften sich nur vertheidigend verhalten und nur im Falle eines
Angriffs Gewalt mit Gewalt vertreiben.
Diese Kriegsfarce scheint unblutig verlaufen zu sein und jedenfalls
ist sie völlig resultatlos gewesen, denn im Jahre
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1672 traten die Städte mit dem Vorschlage hervor, eine
GEBIETSTHEILUNG AN DIE STELLE DER NUTZUNGSTHEILUNG treten zu lassen,
wozu denn auch das Reichskammergericht seine Zustimmung gegeben hat.
Gemäß zweier Erkenntnisse vom 30. März
1683 und vom 14. März 1684,
sollte die sogenannte Aue, welche von Schwarzenbeck bis nach Aumühle
durch den Sachsenwald läuft, in Zukunft die EIGENTHUMSGRENZE zwischen den beiden streitenden Parteien ausmachen und jede
derselben sollte fortan ihren Antheil für sich allein besitzen. Dem
Herzoge wurde die Wahl zwischen den beiden Antheilen gelassen, er
wählte aber nicht, sondern machte noch fernere Weiterungen, und
versuchte namentlich, die Sache vom Reichskammergericht ab, und an
den Reichshofrath zu ziehen. Aber dieser letztere verfügte Namens
des Kaisers, daß das Reichskammergericht ordnungsmäßig Recht und
Gerechtigkeit handhaben möge. – Der Herzog war also abgewiesen und
somit war endlich, NACHDEM DER PROZESZ 145 JAHRE
GEDAUERT hatte, ein
vollkommen rechtskräftiges Erkenntniß vorhanden.
Aber den beiden Städten gelang es dennoch nicht, sich in den Besitz
des ihnen zuerkannten Antheils zu setzen. Sobald ihre Beamten Bäume
mit dem Waldhammer anschlugen oder solche fällen ließen, wurden sie
dabei von den lauenburgischen Beamten gestört, während diese
fortwährend eine große Anzahl Bäume fällen ließen. Auch noch nach
dem, im Jahre 1689 erfolgten, ABLEBEN DES LETZTEN
SACHSEN-LAUENBURGISCHEN HERZOGS, JULIUS FRANZk setzten sich diese
Kämpfe fort, BIS ENDLICH IM JAHRE 1716 DIE
BELEHNUNG DES FÜRSTLICHEN HAUSES VON BRAUNSCHWEIG-LÜNEBURG SEITENS
DES KAISERS STATTFAND. NUN GABEN DIE STÄDTE IHRE BEMÜHUNGEN AUF, DA
SIE WOHL EINSEHEN MOCHTEN, DASZ AN EINE ABTRENNUNG DES STREITIGEN
GEBIETES VOM REICHSLEHN NICHT ZU DENKEN WAR.
Die neue Landesherrschaft sah sich also nunmehr im ungestörten
Besitz des ganzen Sachsenwaldes, wie dies aus
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allen ihren Maßnahmen und besonders auch aus den Protocollen der
„FORSTBEREITUNGSKOMMISSION“ von 1742, welche den Befund aufzunehmen
und Vorschläge über die Verwaltung zu machen hatte, hervorgeht. Der
Sachsenwald gehörte seinem ganzen Umfange nach zur Forstinspektion
Schwarzenbeck, an deren Spitze ein Oberförster stand.
Von den WIRTHSCHAFTLICHEN ZUSTÄNDEN in den Waldungen entwirft die
Forstbereitungscommission ein wenig erfreuliches Bild. Es erklären
sich die mäßigen Zustände fast allein schon aus den zahlreichen
Berechtigungen der Unterthanen, welche eine angemessene Schonung
erheblich erschwerten und eine regelmäßige Bewirthschaftung beinahe
unmöglich gemacht hatten.
Um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts und noch lange nachher,
waren die Bauern der sogenannten Walddörfer berechtigt, alles Holz
außer von Eichen und Buchen, also das sogenannte Weichholz, nach
Belieben zu nutzen und außerdem hatten sie Anspruch auf
unentgeltliche Verabfolgung des zu ihren Gebäuden erforderlichen
Bauholzes in hartem Holze. Sie hatten ferner die Berechtigung zum
Leseholzsammeln, soviel sie mit Pferden und Wagen herausfahren
konnten; sodann das Recht, sich alles Stubbenholz anzueignen und
endlich den unentgeltlichen Bezug auf Haide und Plaggen. Pferde und
Vieh hüteten sie ohne Entgelt in in den Waldungen, wo jede
Dorfschaft ihr Weidegebiet hatte, und nur für die auf die Mast
getriebenen Schweine hatten sie eine Abgabe an die Landesherrschaft
zu zahlen. Die Aufsicht über den, in acht sogenannte HUDEN eingetheilten Sachsenwald, hatten die HUDEMEISTER, die auch
Bauervögte waren. Sie bekamen dafür alles Windfallholz zum halben
Preise und für jedes in die Mast aufgetriebene und eingebrannte
Schwein zwei Schillinge von den Eigenthümern, und die selbst
gezogenen Schweine, die sogenannte Deelzucht, konnten sie frei
eintreiben.
Erst im siebzehnten Jahrhundert scheint man Förster
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und Holzvögte angestellt zu haben und zur Zeit der Forstbereitung
von 1742 waren am Sachsenwalde vier Förster zu Rothenbeck, Aumühle,
Kröpelshagen und Brunstorf angestellt, außerdem für die angrenzenden
herrschaftlichen Waldungen ein Förster zu Rothenhaus und einer zu
Schwarzenbeck. Auch die Berechtigungen waren wohl etwas
eingeschränkt, aber wie schwer allein schon die Weideberechtigung
auf den Waldungen gelastet hat, läßt sich nach der um jene Zeit in
den Dörfern vorhandenen Anzahl Pferde, Kühe und Schafe schätzen.
Eine im Auftrage der Bereitungskommission durch den Amtsvogt zu
Schwarzenbeck ausgeführte Viehzählung giebt über dieselbe Auskunft.
Es waren vorhanden:
In der Dorfschaft:
Woltorf |
54 Pferde |
64 Kühe |
143 Schafe |
Wentorf |
48 Pferde |
62 Kühe |
112 Schafe |
Börnsen |
80 Pferde |
132 Kühe |
164 Schafe |
Escheburg |
87 Pferde |
145 Kühe |
237 Schafe |
Kröpelshagen |
58 Pferde |
114 Kühe |
172 Schafe |
Hohenhorn |
75 Pferde |
139 Kühe |
382 Schafe |
Dassendorf |
110 Pferde |
238 Kühe |
490 Schafe |
Brunstorf |
108 Pferde |
246 Kühe |
620 Schafe |
(Schwarzenbeck fehlt, aus
welchem Grunde, ist nicht ersichtlich.) |
|
|
|
Grabau |
38 Pferde |
94 Kühe |
137 Schafe |
Grove |
53 Pferde |
101 Kühe |
118 Schafe |
Havekost |
69 Pferde |
139 Kühe |
231 Schafe |
Möhnsen |
70 Pferde |
148 Kühe |
249 Schafe |
Kaßeburg |
68 Pferde |
228 Kühe |
405 Schafe |
Kuddewörde |
55 Pferde |
123 Kühe |
219 Schafe |
______________ |
_________ |
_________ |
_________ |
Zusammen |
973 Pferde |
1973 Kühe |
3679 Schafe |
|
|
|
|
Dazu kamen noch: |
|
|
|
Vom herrschaftlichen
Vorwerk: |
|
|
|
Rothenbek |
6 Pferde |
60 Kühe |
450 Schafe |
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Fahrendorf |
8 Pferde |
50 Kühe |
400 Schafe |
Aumühle (alle
drei später
niedergelegt) |
6 Pferde |
50 Kühe |
400 Schafe |
Schwarzenbeck |
10 Pferde |
63 Kühe |
446 Schafe |
_________ |
_________ |
_________ |
_________ |
Zusammen: |
30 Pferde |
223 Kühe |
1296 Schafe |
_________ |
_________ |
_________ |
_________ |
Mit obigem: |
1003 Pferde |
2196 Kühe |
4975 Schafe |
Endlich noch das Vieh der Forstbeamten, von der
Kupfermühle an der Aue und der Brauerei zu Aumühle.
Nun steht übrigens fest, daß dieser Groß- und Klein-Viehbestand
nicht ausschließlich auf den Sachsenwald angewiesen war, sondern
daß auch die Rothenhäuser und Schwarzenbecker Forsten, welche
letztere vormals, und selbst noch zu Anfang dieses Jahrhunderts,
weit ausgedehnter waren als jetzt, mit zu der Weidefläche der
Dorfschaften gehörten, so daß also nicht der Sachsenwald allein
die Last zu tragen hatte. An dem letzteren waren eigentlich nur
die acht sogenannten Walddörfer, welche den Sachsenwald mit
ihren Feldmarken umschlossen, betheiligt, außerdem vielleicht
noch das Dorf Wentorf. Schwarzenbeck war hauptsächlich auf die
Rülau angewiesen.
Aber trotzdem blieb doch die Belastung eine sehr erhebliche und
wenn die Landesherrschaft nicht das Recht gehabt hätte,
verhältnißmäßig bedeutende Flächen in Schonung zu legen, und die
Bauern mit ihrer Weide in sogenannte „unschädliche Orte“ zu
verweisen, so wäre eine Verjüngung, namentlich aber ein
künstliche Besamung mit Eichen, wie solche später, und besonders
zu Anfang unseres Jahrhunderts in ausgedehntem Maße
stattgefunden hat, nicht möglich gewesen. Die
Forstbereitungskommission beklagt übrigens die große Ausdehnung
der in Haide liegenden, und unzureichend bestandenen Flächen und
empfiehelt den Anbau von Nadelhölzern, welche bis dahin nicht
vorhanden waren. Aber erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
ist damit ein beschränkter Anfang gemacht, desto lebhafter aber
der Anbau seit den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts
betrieben worden.
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Nicht so sehr aus den Forstbereitungsprotocollen, als aus
anderweitigen Mittheilungen und Nachrichten geht hervor, daß der
Sachsenwald im vorigen Jahrhundert sehr reich an Edelwild und Sauen
gewesen ist, für welches auch in der That nicht nur im Sachsenwald
selbst, sondern auch in den benachbarten herrschaftlichen und
bäuerlichen Waldungen, vorzügliche Stände vorhanden waren. Ein
großer Theil der Dorffeldmarken war sogar noch bis Anfang der
dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts mit Wald bewachsen und starke
Dickungen sowie ausgedehnte Sumpfflächen boten dem Wilde willkommene
Zufluchtsstätten.
DIESER WILDREICHTUM WAR ES, WELCHER, WENIGSTENS MITTELBAR, ZUR
GRÜNDUNG VON FRIEDRICHSRUH VERANLASSUNG GEGEBEN HAT.
Der regierende Graf FRIEDRICH CARL AUGUST, EDLER HERR ZUR LIPPE,
STERNBERG und SCHWALENBERG, Haupt der noch jetzt blühenden
LIPPE-BIESTERFELDSCHEN Linie, hatte nämlich des reichen Wildstandes
wegen, die Jagd im Sachsenwald gepachtet und im Jahre 1763 seinen
Wohnsitz in Aumühle genommen, woselbst er den sogenannten
EINSPÄNNERHOF durch Kauf erworben hatte, also einen jener Höfe,
welche in der ersten und ältesten Reichsmatrikel, zu einer halben
oder einspännigen GLEVE eingeschätzt waren. Aller Wahrscheinlichkeit
nach war dies derselbe Hof, welchend er Herzog Franz I. von
Lauenburg seinen, mit der Ilsabe Rautenstein erzeugten, unehelichen
Kindern geschenkt hat, zugleich mit den Dörfern Wohltorf,
Kröpelshagen und einem Bauernhofe zu Havekost.
Das Haus, welches der Graf zur Lippe bewohnt hat, dient jetzt der
daselbst eingerichteten Gartenwirthschaft.
Es scheint ihm übrigens dort nicht allzusehr gefallen zu haben, denn
er kaufte alsbald eine, weiter oberhalb an der Aue belegene, ALTE
FÖRSTEREI und richtete dieselbe, nachdem er sie umgebaut oder
neugebaut hatte, zu seiner Wohnung ein. Das Haus, das nach des
Grafen Vornamen Friedrichsruh
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genannt wurde, stand an der Stelle, wo gegenwärtig der Pferdestall
des Fürsten Bismarck steht, und war ein einfaches, strohgedecktes,
indessen recht geräumiges Fachwerksgebäude, das im Innern hübsch und
vornehm ausgestattet war. Die großen, zum Theil in die Spiegelwände
eingelassenen kostbaren Spiegel, die Marmorverzierungen in den
Zimmern, die zum Theil sehr kunstvoll gearbeiteten Kamine, waren bis
Ende der Dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts zum Theil noch dort zu
sehen. Die innere Einrichtung stand in einem eigenthümlichen
Gegensatze zu dem einfachen Aeußern des Gebäudes. Auf dem einen
Querbalken der vorderen Giebelwand waren Namen und Titel des
gräflichen Erbauers eingemeißelt.
Was eigentlich den Grafen veranlaßt hat, sich im Sachsenwald dauernd
niederzulassen, ist nicht bekannt; der Sage nach war es
hauptsächlich die Liebe zur Jagd, die ihn dort fesselte. Vielleicht
war ihm auch der Aufenthalt auf seinem Stammschlosse verleidet,
nachdem seine Gemahlin bereits im Jahre 1744 gestorben war und seine
Kinder sämmtlich erwachsen und überall hin zerstreut waren.
Er war übrigens auch häufig auf Reisen im Auslande, kehrte aber
stets wieder zu seinem stillen Jagdhause zurück. Noch vor etwa
fünfzig Jahren wußten alte Leute von den vier stattlichen
Rapphengsten zu erzählen, mit denen er zu fahren pflegte und von den
Kämpfen, welche seine Jäger mit Wilddieben zu bestehen gehabt, wobei
einer derselben namens Brand erschossen, der Mörer aber entdeckt und
gehängt worden war.
Im Jahre 1781 ist dann der Graf, im Alter von fünfundsiebenzig
Jahren, in seinem Jagdhause, das er, wie gesagt, FRIEDRICHSRUH benannt hatte, gestorben und ist in der Kirche des etwa anderthalb
Stunden entfernten Dorfes Brunstorf begraben worden. Eine von seinen
Hinterbliebenen angebrachte hübsche Grabschrift bewahrt sein
Andenken. *)
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*) Die Grabschrift findet sich abgedruckt im II. Bande dieser
Zeitschrift, Heft 1, pag. 85.
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Nach dem Tode des Grafen wurde das Jagdhaus verkauft und ging in
kurzen Zwischenräumen in verschiedene Hände über. Zu Anfang dieses
Jahrhunderts finden wir es zur Gastwirtschaft eingerichtet, welche
hauptsächlich in der Sommerzeit von Hamburgern fleißig besucht
wurde.
Ländliche Einfachheit und Waldesstille lagen damals über dem, durch
keine großen Heerstraßen mit der übrigen Welt verbundenen
Wiesenthale. Nahe bei dem gräflichen Jagdhause stand ein wenig
ansehnlicher Krug, welcher späterhin umgebaut und erweitert, vor
einigen Monaten aber abgebrannt ist; außer einer kleinen Kathe, in
welcher ein Tagelöhner wohnte, war der Krug das einzige Haus in
unmittelbarer Nähe des Jagdhauses. Etwa zehn Minuten abwarts an der
Aue aber, war eine kleine, durch die Wasserkraft des Flüßchens
getriebene Tuchfabrik angelegt worden. Aber viel Leben brachte sie
nicht in das Thal, wenn auch, durch das Klopfen der Webstühle und
das Stampfen der Walkmühle, die Stille desselben etwas unterbrochen
wurde.
Seit Jahren ist nun diese Fabrik, bis auf das Wohnhaus, welches
jetzt von dem fürstlichen Oberförster bewohnt wird, abgebrochen
worden, aber ein einziger alter Wollspinner benutzt noch die
Wasserkraft zu seinem einfachen, einförmigen Tagewerke.
Der Verkehr nach auswärts war zu damaliger Zeit gering und
hauptsächlich waren es Städter, welche von Zeit zu Zeit, besonders
an Sonn- und Festtagen, dorthin kamen, und meistens gehörten sie dem
besseren Publikum an, denn Friedrichsruh war nur mit besonders dazu
angenommenem Fuhrwerk zu erreichen.
An den Wochentagen schleppten sich fast nur langsam fahrende
Holzwagen auf den mäßig gebahnten Wegen quer durch das Thal; aus dem
Walde kommende Jäger oder Holzhauer
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suchten im Gasthause oder im Kruge Rast und Erquickung, oder es fuhr
ein leichter Wagen herbei, auf welchem in der Forst erlegtes
Edelwild oder Schwarzwild lag.
Zu Zeiten aber belebte sich auch an den Wochentagen das stille Thal.
Im Sommer fanden sich die Förster und Jäger zusammen, um ein Stern-
oder Hirschschießen auf der Wiese abzuhalten; Musik ertönte, und
nach beendetem Waffenspiele kamen die frische, rothwangigen Töchter
aus den einsamen Försterhäusern mit den sorgsamen Müttern herbei,
und bis Mitternacht und darüber hinaus, erfreute sich die Jugend am
Tanz, und mancher Herzensbund wurde hier geschlossen, aber wohl auch
manche stille Hoffnung zu Grabe getragen.
Doch auch der Winter sah oft fröhliches Leben. Die Jägerei
versammelte sich früh Morgens, bevor noch die Sonne den Wald mit
ihrem Lichte erfüllte. Zahlreiche Treiber, zu damaliger Zeit noch im
Frohndienst, waren zur Stelle beschieden. Dann hörte man den Tag
über das weithin schallende Rufen der Treiber; und die Büchsen
knallten durch den Wald, bis der Abend auch dieser Herrlichkeit ein
Ende machte. Der edle Hirsch und der grimmige Keiler, getroffen von
der Hand waidgerechter Jäger, wurden nebst dem geringeren Wilde vor
dem Gasthause zur Strecke gebracht. Die Förster und die geladenen
Gäste versammelten sich in diesem, die Unterförster oder Holzvögte
und Revierjäger im Kruge, um sich beim einfachen Mahle und einem
guten Glase Rothwein zu erholen. Zuletzt trat die Punschbowle in
ihre Rechte, denn Bier gab es damals in dieser Gegend noch nicht,
und lockte lustige Geschichten hervor, mehr oder weniger glaublich,
zuweilen auch wohl in klassischem Jägerlatein vorgetragen, das
allerdings nicht in den staubigen Schulen, dagegen im grünen Walde,
am prasselnden Holzstoß oder an langen Winterabenden, im traulichen
Kreise am Ofen, erlernt worden war. Die herrlichen alten Jagdlieder
erklangen, bis endlich die ermüdete Jägerei sich dem erquickenden
Schlafe
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ergab, aus dem sie beim ersten Morgenroth durch muntere Jagdfanfaren
wieder geweckt ward.
DAS WAR DAS ALTE FRIEDRICHSRUH BIS ANFANG DER VIERZIGER JAHRE.
Dann legte sich das eiserne Schienennetz, mit dem man fortgesetzt
den Erdball umspannt, als sollte es den alternden Weltkörper
zusammenhalten, gleich einer kalten Schlange, durch den bis dahin
von der modernen Cultur nur wenig berührten Sachsenwald und kaum war
dies geschehen, da schnob auch schon das heiße Dampfroß daher und
trug ungewohntes Leben in die stillen Waldbestände hinein.
FRIEDRICHSRUH war der großen Stadt HAMBURG näher gerückt und die
Folge war, daß der bis dahin immerhin nur spärliche Besuch zu
Schwärmen anwuchs und sich zum größeren Theile aus neuen Elementen
zusammensetzte. Das alte Jagdhaus konnte die reichlich
herbeiströmenden Menschen nicht mehr fassen und es wurde daher, in
unmittelbarer Nähe desselben, ein neues großes Gebäude errichtet,
das den fremdländischen Namen FRASCATI erhielt, den der Volkswitz
alsbald in Freßkathe übersetzte. Zugleich entstanden eine Anzahl
kleinerer Villen und Wohnungen an den Rändern des Wiesenthales. Im
Walde aber war fortan kein Winkel mehr sicher vor überputzten
Dämchen und gebügelten Commis, und das alte Hamburgische
Patricierthum zog sich mehr und mehr zurück oder erschien nur an den
Wochentagen.
Da endlich erhob der zürnende Waldgott seine Hand, um den gestörten
Frieden in seinen alten Jagdgründen wiederherzustellen. Ein
zündender Blitz setzte Frascati in Flammen und bis auf den Grund
brannte es nieder.
Aber die Menschen behaupteten ihr einmal erobertes Gebiet: ein neues
Frascati entstand auf den Trümmern des alten, und nun duldete es
nicht ferner den alten bescheidenen Nachbarn neben sich; das
Jagdhaus wurde abgebrochen und mit ihm verschwand das letzte Denkmal
der alten Jagdherrlichkeit,
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die schon im Jahre 1848 einen tödtlichen Stoß erhalten hatte.
Und damit schließen die älteren Abschnitte der Geschichte
Friedrichsruhs und des Sachsenwaldes.
Ein neuer Abschnitt beginnt mit dem Jahre, in welchem der große
Kanzler des Deutschen Reichs Friedrichsruh zu seinem Aufenthalte
erwählt, Frascati als Gasthaus beseitigt und dasselbe umgebaut hat.
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