Adam von Bremen berichtet, daß
im Jahre 1066 bei Gelegenheit des großen Slavenaufstandes der Mönch
Ansverus in Ratzeburg gesteinigt wurde. Adam III, c. 49.
Ansverus monacus et cum eo alii apud Razzispurg lapidati sunt. Idus
Julii passio illorum occurrit. Diese Stelle ist wörtlich in
Helmolds Chronic. Slav. aufgenommen (I, c. 22)
Das Scholion 80 zu Adam fügt dieser Erzählung noch folgendes hinzu:
fertur idem Ansverus, cum ad passionem veniret, flagitasse
paganos, ut prius socii, quos deficere metuebat, lapidarentur.
Quibus coronatis ipse gaudens cum Stephano genua posuit.
Auch diese Stelle ist wörtlich von Helmold aufgenommen worden.
Man ist geneigt, daß Scholion 80 unter diejenigen zu rechnen, welche
möglicherweise von Adam selbst zugefügt worden sind; sicher ist aber
aus der Zusammenstellung mit Helmold, daß es vor 1170 entstanden
sein muß. Während nun jene erste kurze Notiz bei Adam, welche kaum
ein Jahrzehnt nach dem Ereignis selbst geschrieben sein wird, den
Eindruck erweckt, der geschichtliche Kern der Ansverussage zu sein,
bietet das Scholion, wie das erste Wort sogleich andeutet, einen
Teil der Legende, die also ebenfalls vor 1170 in wesentlichen
Stücken ausgebildet gewesen sein muß.
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Nun existiert in der Königl. Bibliothek zu Kopenhagen (Alte Königl.
Sammlung in 4° Nr. 1360) eine Handschrift aus dem
14. Jahrhundert,
welche die vollständige Legende enthält. Der Jesuit Cuper, welcher
dieselbe im Jahre 1730 circa in den actis sanctorum mens. Jul.
tom. IV herausgab, benutzte noch 2 andere Handschriften,
welche, wie es scheint, verloren gegangen sind; wenigstens waren
alle Bemühungen um ihre Wiederauffindung bisher umsonst. Langebek
nahm die Legende in sein Werk: scriptores rer. Danic. Havn.
1774 wieder auf, woselbst sie im 3. Bande
p. 581-86 zu
finden ist. Er benutzte keine Handschriften, sondern giebt den
Cuperschen Text mit den Varianten; außerdem fügte er eine
niederdeutsche Uebersetzung aus dem Lübecker Passional von 1507 *)
hinzu, welche auch dasjenige Stück der Legende enthält, das Cuper
nicht des Abdrucks wert gehalten hatte. In abgekürzter Form findet
sich die Legende in Cypraei annales episc. Slesvic. I, c. 19
(Col. 1634) und ebenso bei Schlöpken Histor. Nach.
p.
82. In ähnlicher Form soll sie das Ratzeburger und das Schweriner
Brevier enthalten haben. Eine Uebersetzung dieser Legende lieferte
Becker „Der heilige Ansverus“ Schönberg 1841. Doch ist diese
Uebersetzung, welche allen Schwierigkeiten aus dem Wege geht und
alle Fehler der niederdeutschen Uebersetzung sich aneignet, ohne
wissenschaftlichen Wert.
Da nun auch die Ausgabe Cupers nur eine Recension ist, welche der
Textesverbesserung nicht die nötige Sorgfalt zuwendet, erscheint es
nicht überflüssig sowohl den lateinischen Text, als die Übersetzung
von neuem herauszugeben, damit eine bessere Grundlage zu weiteren
Forschungen geboten wird.
Wenn wir uns gleichwohl nur auf einen Teil des Cuperschen bezw.
Langebekschen Textes beschränken und auch die Uebersetzung nicht
weiterführen, so geschieht das aus den gleich zu entwickelnden
Gründen:
____________________
*) Dasselbe wurde zuerst herausgegeben 1492.
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Sämtliche drei von Cuper benutzte Handschriften erweisen sich als
Abschriften eines Archetypons, das seinerseits eine Compilation
zweier von verschiedenen Autoren stammender und zu verschiedenen
Zeiten verfaßter Schriftchen war. Letzeres zeigt sich äußerlich noch
in der Abteilung in 2 Kapitel, die durch folgende, nicht einmal ganz
passende Phrase verbunden sind: Quorum passio (Ansveri et eius
sociorum) in hunc modum legitur peracta. Der 2. Teil stammt
aus dem 14. Jahrhundert, was einfach dadurch erwiesen wird, daß er
die Erzählungen einer Frau wiederzugeben vorgiebt, welche im Jahr
1329 Ansveruserscheinungen gehabt haben soll, während die noch
vorhandene Handschrift, wie gesagt, ebenfalls aus dem 14.
Jahrhundert stammt.
Obgleich nun in diesem 2. Teile auf das im obenerwähnten Scholion
Adams Erzählte Bezug genommen wird und auch sonst noch einige
plausible Nachrichten gegeben werden, ist doch der übrige Inhalt so
abenteuerlich, daß er als ein auf den gröbsten Aberglauben
berechnetes Machwerk erscheint und die Reproduktion nicht verdient.
Das Wichtige daraus geben wir anmerkungsweise im Commentar.
Dagegen kennzeichnet sich das erste Stück als die Arbeit eines
allerdings etwas mystischen aber nicht ungelehrten, glaubensstarken
und glaubensinnigen, der albigensischen Richtung zugeneigten
Benediktiner- oder wahrscheinlicher Prämonstratensermönches des
12.
Jahrhunderts. Das Schriftchen ist höchst wahrscheinlich in Ratzeburg
selbst entstanden. Der Wortschatz und der ganze Stil zeigt bis auf
eine einzige syntaktische Eigentümlichkeit eine auffallende
Ähnlichkeit mit dem Arnolds von Lübeck, der im Jahr 1210 circa
schrieb.
* * *
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B. Uebersetzung
LEGENDE VOM HEILIGEN ANSVERUS.
Ansverus, von adlichen Eltern erzeugt, entstammte
einem angesehenen Geschlecht. Sein Vater nämlich war der edle und
tüchtige Ritter Oswald und seine Mutter war Agneta, welche beide,
mit vorzüglichen Geistesgaben ausgerüstet und von löblicher
Gesinnung, sowohl im allerbesten Rufe standen als auch ein sehr
ehrenwertes Leben führten. Dieser Oswald hatte sein Standquartier
zwischen Heydebo, einer Stadt Südjütlands, die jetzt Schleswig
heißt, und Holstein und war mit solcher Auszeichnung begabt, daß er
nicht wenige Ritter und Schildknappen als Vasallen nach Lehnsrecht
in seine Güter einweisen konnte. Die Mutter führte aber ein so
heiliges Leben, daß sie vielen durch gute Beispiele zu keuschen und
züchtigen Sitten verhalf, was später an ihrem vorgenannten Sohne die
herrlichste Frucht trug, da die Nachkommen bisweilen in die
Fußstapfen ihrer Eltern und Vorfahren zu treten pflegen, gemäß dem
Ausspruch: „Oft pflegt der Sohn dem Vater ähnlich zu sein“ und „Ein
weiser Sohn ist die Freude seiner Mutter“. Und das war der heilige
Ansverus, der, in seiner Kindheit unschuldig, in den Knabenjahren
folgsam und in den Jünglingsjahren mäßig, bis zum Mannesalter
gleichsam wie ein „Vollkommener“ lebte, und der nach diesem
Höhepunkte des Lebens dem heiligen Hiob hätte verglichen werden
können, von dem geschrieben steht: „ein Mann schlecht und recht, der
Gott fürchtete und sich abwendete von allem Schlechten“, und der in
der späteren Zeit die heiligen Väter in seinen Sitten, wie bereits
gesagt wurde und weiter unten noch besser erzählt werden wird,
nachahmte.
Der heilige Ansverus hatte aber einen älteren leiblichen Bruder,
welcher den Wohnsitz seiner Eltern verließ und eine weite Fahrt
unternahm, um zeitliche Güter und weltlichen Ruhm zu erwerben, und
weil dieser gar nicht zu ihnen zurückkehrte, waren die Eltern nicht
imstande ihn für ihren Erben, der sie überleben würde, anzusehen.
Der jüngere Sohn aber,
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Ansverus, trug sich, obwohl erst 15 Jahre alt, belehrt durch des
allmächtigen und barmherzigen Gottes heilsamen Rat, trotz er
zärtlichen Liebe seiner Eltern, welche hofften, daß er der künftige
Erbe ihrer Besitzungen und der Nachfolger im väterlichen Kriegsamt
sein werde, wider ihren Willen mit dem Verlangen in den
Wissenschaften unterrichtet zu werden, und indem er vorgab seinen
Oheim verwandschaftlich besuchen zu wollen, lenkte er vom Wege ab
und kam, indem ein guter Geist ihn leitete, nach Ratzeburg zum
Kloster des heiligen Georg, in welchem damals unter ungläubigen
Heiden Mönche vom Orden des heiligen Benedikt lebten.
Unterwegs geschah es, daß er, als er, zu tiefem Nachsinnen
aufgelegt, auf seinem Lager entschlummert war, ein Traumgesicht sah,
daß er an dem Orte, wohin er strebte, dermaleinst das Amt der
Oberleitung (die Abtwürde) bekümmerten Geistes würde ausüben, und
daß er Gott, dem zu dienen regieren heißt, bis zu seinem Lebensende
dort würde dienen müssen. Wieder erwacht, überlegte er die Deutung
dieses Traumes bei sich hin und her und faßte, indem er sie mit
ungewöhnlicher innerer Fröhlichkeit betrachtete, den jugendlichen
Mutwillen, von dem er indessen kaum beseelt war, hintansetzend und
aller weltlichen Begierden sich begebend, voll glühenden Eifers den
Entschluß zu einem heiligen Mönchsleben, um damit thatsächlich das
ewige Leben zu verdienen. Nachdem er vollends der Welt Lockungen,
die keine dauernde Stütze gewähren, recht ins Auge gefaßt, da
verachtete er das ungewisse weltliche Glück und verschmähete es
gänzlich und begab sich zu dem vorgenannten Kloster des heiligen
Georg, wo er mit honigsüßen, ihm von Gott eingegebenen, Worten des
Abtes Herz rührte, indem er bat ihn zum Mönche anzunehmen; und da
Gott es wollte, der alles Gute, was er nur will, thut, anordnet und
eingiebt, erlangte er es leicht.
Als er aber in jenem Kloster als Mönch eingekleidet war, wendete er
mit Frohlocken und Entzücken allen Fleiß nicht
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allein an die Erlernung der Schrift und der Wissenschaften, sondern
auch daran, wie er dem gefallen möchte, welcher denen, so ihn
kindlich darum bitten, göttliches und menschliches Wissen im
Überfluß verleiht, wie Jacobus in seiner Epistel sagt: „Wenn einer
aber zweifeln sollte u.s.w.“ Er überholte seine Altersgenossen, die
mit ihm in der Schule waren, und wurde vom Abte einem älteren Mönche
übergeben, der ihn belehren sollte in den Regeln und Formen des
mönchischen Lebens, wie er gemäß dem abgelegten Gelübde den
Zerstreuungen und dem Übermute der Laienbrüder aus dem Wege gehen,
den Wünschen der Brüder gemäß sich verhalten und ihnen, indem er den
Älteren in zuvorkommender Weise Ehre erwies, ebenso wie die ihm
Gleichaltrigen und Gleichgestellten gehorchen könnte. Dies alles
that er so eifrig, mit solcher Demut und Sanftmütigkeit, daß alle
Mönche es nicht genug bewundern konnten. Und bisweilen demütigte er
sich so, daß ihn seine Genossen nachher, verleitet vom Geiste des
Stolzes, für einen ungebildeten und thörigten Narren hielten.
Er aber dankte Gott und erwies seinen Widersachern mit freundlichem
Antlitz nur um so eifriger Liebes und Gutes. Denn so groß war seine
Schamhaftigkeit und tugendhafter Zartsinn, daß, wenn er einer Sache
beschuldigt wurde, die er sich nicht erinnerte jemals gethan zu
haben, die Röte des Gesichts verräterisch die innere Erregung merken
ließ. Wie der heilige Bernhard in seinem Buche de diligendo dominum
sagt: „Obwohl die Schamhaftigkeit eine Tugend ist, welche allen
Lebensaltern, Zeiten und Personen ansteht, ziert sie doch am meisten
jugendliche Gemüter“. Denn auch in der Furcht des Herrn verhielt er
sich so zagend und zeigte sich in ähnlicher Weise so demütig unter
der Zucht seines Vorgesetzten, daß dieser sein Lehrmeister
vermutete, er sei nicht recht bei Sinnen, weil er sich gar zu
geduldig verhielt. Sogar als er aus der Schule entlassen und zum
Priester befördert war, hielt er sich so, daß er wohl einem Helden
verglichen werden
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konnte, wie geschrieben steht: „Besser ist der Dulder als der Held
und derjenige, der sich selbst beherrscht, als der Eroberer von
Städten“.
Oft widmete er sich innerer Beschaulichkeit, und um mit größerer
Innigkeit beten zu können, hatte er sich außerhalb des Münsters in
geringer Entfernung einen Platz auserwählt, wo er, so oft er Zeit
hatte, sein Herz und seinen Leib unter thränenreicher Abbitte
kasteiete. Infolgedessen geschah es oft, daß er die Stunde der
Mahlzeit, sowohl beim Frühstück als bei der cena, nicht einhielt.
Hierüber einstmals aufgebracht zeigten die Brüder seinem
Vorgesetzten seine Abwesenheit an. Hierdurch gereizt, hielt ihn sein
Oberer für verdächtig in allen seinen Handlungen und ordnete an, daß
mehrfache Untersuchungen gegen ihn zur Erforschung aller seiner
Handlungen durch Beobachter angestellt wurden. Aber Gott, der
Tröster aller, die auf ihn hoffen, läßt seine Diener nicht zu
Schanden werden, wie geschrieben steht: „Wer hoffte denn auf Gott
und ist verlassen worden“.
Unter andern Beobachtern war auch ein Schüler mit Namen Oswald, den
Ansverus wegen der Namensgleichheit mit seinem Vater sehr liebte;
der sah durch Gottes gnädige Zulassung während der heiligen Messe
den heiligen Johannes, den Eremiten, beim heiligen Ansverus stehen,
während er das Sakrament des Leibes des Herrn darbot, und mit ihm
die heilige Eucharistie emporheben zum Zeichen des Sieges, daß
nämlich der heilige Ansverus siegreich aus allen seinen
Verfolgungen, die er erduldete, hervorgehen müsse. Wie man von Moses
liest, daß er, so oft er nur mit erhobenen Händen für das
Israelitische Volk betete, den Sieg vom Herrn erlangte. Vorgenannter
Schüler sah durch Gottes Zulassung ein anderes Gesicht, nämlich den
Herrn in Gestalt eines leiblichen Knaben, wie er mit seinen Händen
die Tonsur des heiligen Ansverus berührte, als er nach der Messe vor
dem Altare knieend, wie es Brauch ist, das Dankgebet für das
vollendete Meßopfer
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sprach, und öfter wurde von den Brüdern, denen dies vergönnt war,
gesehen, daß ein Engel Gottes unter seinem Kleide mit ihm wandelte,
zum Zeichen der Beschützung durch die Engel, wie der Psalm sagt:
„Seinen Engeln u.s.w.“
Und als es seinem Studienmeister offenbart worden war, verschmähete
es dieser daran zu glauben, und er wurde vor Abt und Kapitel
verwiesen, indem man ihn seiner ungewohnten Sitten wegen belangte
(n. d. Conjektur: Und als es seinem Studienmeister offenbart wurde,
verschmähte dieser daran zu glauben; und vor Abt und Kapitel
verwiesen und wegen seiner ungewohnten Sitten belangt – wurde er des
Priesteramtes entsetzt.) Ein andermal trugen einige in Abwesenheit
des Abtes nichtige und leere Beschuldigungen vor und legten ihm
schwere Pönitenz auf. Einige aber von ihnen verurteilten ihn nicht,
sondern nahmen ihn als unschuldig und frei von dem Vergehen in
Schutz. Und andere, die in ihrem Trotz verharrten, wurden durch
einen Donnerschlag so erschreckt, daß sie kaum (mit dem Leben)
davonkamen, und diejenigen, die ihn vorher seines Priesteramts
entsetzt hatten, baten ihn, daß er es wiedernehmen möchte.
Während dieser Plagen und Drangsale hörte er nicht auf unter vielem
Seufzen und Schluchzen Gott und die heilige Jungfrau anzubeten, die
er täglich mit besonderen Gebeten verehrte. Daher geschah es, daß
die heilige Mutter Gottes (in einem gewölbten Schutzdach, welches
sich über einem Altar der genannten Klosterkirche des heiligen Georg
erhob) sich ihm zeigte in einer mit vielen glänzenden Edelsteinen
geschmückten Krone, und, wie es ihm schien, drückte sie ihm den
schönsten Edelstein aus dieser Krone in die Stirn, daß er nicht
wieder daraus entfernt werden konnte.
Außerdem war er ein wahrhafter Liebhaber der heiligen und
unteilbaren Dreieinigkeit, was deutlich dadurch bewiesen wird, daß
einer seiner Brüder, der krank war, sich einen Schüler seines Ordens
als Ministranten hielt, der, um sich zu erbauen,
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bei gegebener Gelegenheit das Münster betrat, und da man ja häufig
eine ähnliche Gesinnung bei andern gern sieht, so sah er mit
Entzücken, daß der heilige Ansverus mit großer Demut sich innerer
Beschauung hingab und mit geneigtem Haupte einherging, woran sich
dieser Schüler sehr erbaute; und von gutem Geiste geleitet, hörte er
ihn eine liebliche Melodie mit dreifacher Stimme süß und schallend
singen, und als er, im höchsten Grade erstaunt, sich schnell nähern
wollte, um die drei zu sehen, die er hörte, da ließ ihn die sichere
sinnliche Wahrnehmung im Stich, natürlich, weil er einen sah und
drei hörte.
Und hieraus folgt, daß Ansverus der treueste Nacheiferer des
vorzüglichen Lehrers Augustin gewesen ist, welcher in der Trinität
drei Personen und ein Wesen lehrte, was nur Gott und dem in den
Himmel aufgefahrenen Menschensohne bekannt ist, wie von demselben
(Augustin) geschrieben wird: „Die Trinität ist ihm allein bekannt“.
Der heilige Abraham sah, wie in der Genesis zu lesen ist, drei und
betete einen an, dieser Ministrant sah einen und hörte drei. Und so
wurden beide die Verkündiger der heiligen Dreieinigkeit, nämlich der
Patriarch der Dreifaltigkeit in der Einheit und der Ministrant der
Einheit in der Dreiheit. Und wegen dieses dreifachen Gesanges der
einen Person des heiligen Ansverus denke in Übereinstimmung damit,
daß, wie die Frühmette in ihrem süßen Einklang den Ohren lieblich
däucht, so des heiligen Ansverus dreifach gehörte süßklingende
Stimme für seine Brüder und alle Christgläubigen eine Verkündigung
des Glaubens an die heilige Dreifaltigkeit ist, wie geschrieben
steht: „Mein Gerechter lebt aus dem Glauben“. Und anderswo im Worte
des Weisen: „Das Andenken an den Gerechten ist Balsam und süß wie
Honig und wie die Musik bei Schmaus und Wein“.
Schließlich, als der Abt genannten Klosters gestorben war, kamen die
Brüder zur Erwählung eines neuen Oberen zusammen und vereinigten
ihre Stimmen alle im Namen Gottes einmütig auf den Ansverus, und es
wurde das Gesicht erfüllet,
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welches er sah auf dem Wege seines Einzugs. Und diese Wandlung war
das Werk der Hand des Höchsten, durch welche alles sowohl im Leben
als im Tode ihm zum guten verwandelt wurde. Nachdem er aber Amt und
Namen eines guten Hirten erlangt hatte, regierte er die ihm
anvertraute Herde mit Wort und Beispiel, nämlich mit tugenden und
heiligen Werken, Glauben, Hoffnung und Liebe. Denn im Glauben ahmt
er den heiligen Abraham nach, in der Hoffnung den heiligen Simon und
in der erbarmenden Liebe unsern Herrn Jesum Christum selbst, welcher
die Sünder verschonte, indem er sie geduldig ertrug und ihre Reue
erwartete.
Und so geschah es, daß der heilige Ansverus einen Mönch, der sich
gewaltig verging, als Abt für sein Vergehen, da die Gerechtigkeit es
forderte, strafen mußte. Was aber that er, indem er beachtete, daß
die Gerechtigkeit eine Tugend ist, welche die Gutes verdienenden
belohnt und die Bösen straft, Strafe und Belohnung abmessend nach
der Größe des Verdienstes, und indem er demgemäß fürchtete die
Strenge, - nämlich, daß er bei allzugroßer Härte gegen den Sünder
sich überhebe, oder andrerseits bei allzugroßer Milde den Irrenden
noch zu begünstigen scheine: Er betete mit vielen Fürbitten zum
Herrn, daß er ihn einer Eingebung würdige, wie er den Irrenden
züchtigen solle, ohne daß er Maaß und Ziel der Züchtigung zu
überschreiten scheine. Da merkte der Abt Ansverus sogleich, wie sich
zum Zeichen der Züchtigung und Geißelung eine Rute von oben
herabkommend in seine Hand, so daß er sie ergreifen konnte,
herabsenkte.
Der aber, welcher gegen den Abt und seinen Vorgesetzten sich
vergangen hatte, war unverschämt, gleich als ob er sich gar nicht
darum kümmere, seine Übertretung Gott dem Herrn gegenüber, wie es
geziemend war, zu büßen. Als er aber in den Kapitelsaal berufen war
in Gegenwart der Brüder, ward seine Schuld allen durch die
Anklageschrift offenbar und erkenntlich. Als er nun seine
Übertretungen hörte und die Rute der
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Kraft Gottes in der Hand seines Oberen sah, wurde er so sehr
erschreckt, daß ihn bald, gleichsam in einem Augenblick, eine so
große Zerknirschung erfaßte und er in eine so gewaltige Verwirrung
geriet, daß er 8 Tage lang eine angemessene Buße aushielt und am
9.
Tage im Frieden des Herrn ein gutes Ende nahm. Als der Abt Ansverus
dies erfuhr, richtete er zum andern Male reinen Herzens sein Gebet
an Gott, um zu erfahren, was Gott gefiele mit der Rute, die ihm auf
wunderbare Weise zugekommen war, zu beginnen. Und sie verwandelte
sich plötzlich in einen Docht, der mit Wachs umgeben war und in
einem Leuchter steckte, und in dem genannten Münster bis zur
Zerstörung des Kloster, wie man sagt, aufbewahrt wurde. Hierauf
wurde der genannte Abt Ansverus mit 28 Mönchen um das Jahr des Herrn
1100 oder früher von den Heiden auf dem Berge, nicht weit vom
Kloster, gesteinigt am Tage divisionis apostolorum (15. Juli), wobei
sie hinsichtlich des Glaubens und der Standhaftigkeit den heiligen
Stephanus, den ersten Märtyrer, nachahmten. (Ihr Leiden hat sich,
wie man liest in folgender Weise zugetragen).
* * *
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C. Text.
PASSIO SANCTI ANSVERI.
1. Ansverus nobilibus propagatus parentibus
festivam genealogiam duxit, ut-
2. pote de patre nobili, milite strenuo, Oswaldo et matre, Agneta
nomine, qui op-
3. timae indolis, laudabilis opinionis et famae bonae extiterunt et
vitam honestissimam
4. actitabant. Idem Oswaldus inter Heydebo civitatem Yuciae, quae
nunc Sles-
5. wich dicitur, et Holsatiam commoratus, tanta excellentia fuit
praeditus, ut plurimos
6. milites et militares armigeros more vasallico suis possessionibus
infeodaret.
7. Mater vero tam sanctae conversationis exstitit, ut multos bonis
exemplis verecundis
8. et decentibus moribus adornaret. Quod postea in filio praedicto
optime pertinuit;
9. cum suboles solent progenitorum et parentum vestigia interdum
imitari, secundum
10. id: Saepe solet similis filius esse patri. Et: Laetitia matris
filius est sapiens. Quod
11. sanctus Ansverus fuit, qui in infantia innocens et in pueritia
mansuetus et in ado-
12. lescentia sobrius usque ad virilem aetatem quasi perfectus vixit
– qui secundum hoc
13. culmen passuum idem posset Job sancto comparari, de quo scriptum
est: Vir sim-
14. plex et rectus ac timens dominum et recedens a malo – et
temporibus successivis
15. adoratos moribus, prout iam dictum est et melius dicetur
inferius, imitatus [est].
16. Sanctus autem Ansverus germanum fratrem seniorem habuit, qui
parentum
17. domicilium deserens viam longinquam pro bonis transitoriis
acquirendis, et ut pla-
18. ceret saeculo, est profectus; nec ipsum parentes eius, quia ad
ipsos minime rediit, he-
19. redem sive superstitem habere penitus valuerunt. Iunior vero
Ansverus cum
20. tunc esset trium lustrorum [id est XV annorum] omnipotentis et
misericordis dei
21. edoctus salubri consilio, quamvis tenerrime dilectus a
parentibus, ita ut suarum pos-
22. sessionum sperarent heredem et paternae militiae successorem,
iisdem invitis parenti-
23. bus anhelabat litteralibus studiis erudiri, fingendo se volentem
quendam avuncu-
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24. lum suum ratione propinquitatis visitare, declinavit viam
suam ducente bono spi-
25. ritu ad coenobium sancti Georgii martyris in Racipolim, in quo
tunc tem-
26. poris degebant inter paganos infideles monachi ordinis sancti
Benedicti.
27. Confit in itinere, quod, mentaliter sua disposita voluntate, cum
in stratu
28. suo quiesceret, vidit somnium, quod in eodem loco, quo tenderet,
quandoque cu-
29. ram primi regiminis deberet sollicitus gubernare et deo, cui
servire regnare est, us-
30. que ad consummationem vitae inibi famulari. Expergefactus volvit
et revolvit inter
31. se huiusmodi somnii interpretationem, et contrectans eam animo
supra modum hilari
32. iuvenilem postponens adolescentiae lasciviam, quae tamen sibi
non infuit, omnen de-
33. serens mundialis vitae concupiscentiam concepit ferventer
sanctae et religiosae vitae pro-
34. positum, quo mereretur efficative vitam consequi sempiternam.
Consideratis
35. vero mundi blanditiis, quae nullum durabile praeparant
subsidium, aleam fortunae
36. saecularis contemnens et omnino despiciens praefatum monasterium
sancti Georgii
37. adiit, et ferventi animo et desiderio, verbis melliflue dulcibus
sibi divinitus inspiratis
38. animum abbatis pulsans ad religionem se recipi petiit et deo
volente, qui omnia
39. bona, quaecunque vult, facit et disponit et inspirat, faciliter
impetravit.
40. In eodem autem monasterio indutus habitu monastico exsultans
ovanter sata-
41. gebat imbui non solum litteris et litterarum studiis, sed etiam
quomodo placeret ei,
42. qui dat divinam et humanam scientiam omnibus eam pie petentibus
affluenter, sicut
43. dicit Jacobus in canonica sua: Si quis autem haesitaverit et.
Proficiebat super vae-
44. vos suos, qui secum scholis inerant, et ab abbate commendatus
cuidam seniori, qui
45. ipsum informaret instrueretque vitam monasticam, quam professus
fuerat, quomodo
46. fugeret dissolutiones et insolentias fazendariorum et
conformaret se voluntatibus fratrum
47. suorum, maiores honore praeveniens, et sibi coaequalibus et
comparibus conformiter
48. obtemperaret. Quae omnia tam sedule, tam humiliter et tam
mansuete adimplevit,
49. quod omnes monachi ad plenum non sufficiebant admirari. Et
interim se humiliavit,
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50. quod postea sodales sui ducti spiritu
superbiae ipsum pro rudi et stolido fatuo te-
51. nuerunt.
52. Ipse vero gratias agens deo, aemulos suos vultu amabili, favore
caritativo est
53. ferventius prosecutus. Tanti namque pudoris boni et verecundiae
virtuosae extitit,
54. quod, si incusatus de aliquo, quod tamen se nunquam meminit
perpetrasse, rubor
55. faciei affectum cordis profitens praetendebat. Sicut beatus
Bernardus in libro de di-
56. ligendo dominum dicit: Verecundia cum sit virtus, quae omnibus
aetatibus, tempo-
57. ribus et personis congruat, maxime tamen iuveniles animos decet.
In timore
58. etenim domini tam timide se tenuit et tam humilem sub disciplina
sui rectoris simili
59. modo gessit, ut idem suus didascalus pro deliro et amente [sic!]
suspicaretur, quod tam pa-
60. tienter se haberet. Cum etiam de scholis mancipatus et ad
sacerdotium provectus
61. esset, sustinuit, ut bene viro forti posset comparari, sicut
scribitur: Melior est vir
62. patiens viro forti et qui dominatur animo suo expugnatore
urbium.
63. Fuit etiam interna devotione crebrius contemplatus, et ut melius
orationi
64. devote posset insistere, elegerat sibi locum extra monasterium
non remote, in quo
65. cor et corpus lacrimosis deprecationibus, quando tempus habere
poterat, mactavit.
66. Ex quo saepius accidit, quod horam refectionis tam in prandio
quam in caena non cap-
67. tavit. De quo fratres, sibi quandoque molesti, seniori suo eius
absentiam impegerunt.
68. Unde senior provocatus in singulis suis factis ipsum suspectum
habuit et plura scru-
69. tinia per internuncios contra ipsum, ut quaecunque facta sua
examinarentur, fieri
70. mandat. Sed deus consolator omnium in se sperantium suos devotos
confundi non
71. permittit, sicut legitur: Quis enim speravit in domino et
derelictus est?
72. Inter alios scrutatores quidam scholaris, nomine Oswaldus, quem
Ansverus
73. propter aequivocationem paterni nominis multum diligebat, inter
missarum solemnia
74. vidit divina gratia concedente sanctum Iohannem eremitam astare
sancto An-
75. svero, dum sacramenta corporis dominici offerret, et secum
levare sanctam euchari-
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76. stiam in signum victoriae, quod sanctus Ansverus omnium
suarum persecutionum,
77. quas sustinuit, ut praedictum est, victor exsistere deberet.
Sicut legitur de Moyse,
78. quod, quandoquidem elevatis manibus ad dominum pro Israelitico
populo oraret,
79. victoriam a domino impetravit. Praedictus scholaris permittente
deo aliam vidit
80. visionem, dominum scilicet in specie delicatissimi pueri cum
manibus tangentem co-
81. ronam capitis sancti Ansveri, cum post missam ante altare, ut
solitum est, gratias
82. completi officii prostratus redderet, prospexit, et saepius a
confratribus suis, quibus
83. hoc concessum extitit, visum fuit fuisse angelum die sub habitu
suo secum deambu-
84. lantem in signum gubernationis angelicae, sicut psalmus ait:
angelis suis ct.
85. Et cum seniori didascalo suo revelata fuerunt, fidem adhibere
dedignatus est,
86. et coram abbate et capitulo delatus est pro suis insuetis
moribus inculpatus. Alia
87. quoque vice absente abbate quidam vana et inania protulerunt et
inflexerunt sibi
88. acrem poenitentiam. Quidam autem ex eis ipsum non iudicaverunt,
sed innocen-
89. tem et immunem a delicto asseruerunt. Et alii quidam in sua
pertinacia perduran-
90. tes sic sunt ictu tonitrui attoniti, quod vix evaserunt, et qui
prius ipsum ab officio
91. sacerdotali removerant, ipsum, ut vellet resumere, petierunt.
Inter has vexationes
92. et tribulationes non desiit venerari multis suspiriis et
singultibus flebilibus dominum et
93. sacrosanctam virginem Mariam, quam quotidie specialibus
orationibus venerabatur.
94. Unde contigit, ut sancta dei genitrix – in testudine, quae
eminebat super quoddam altare
95. dicti monasterii sancti Georgii – sibi appareret multarum
gemmarum fulgoribus coro-
96. nata. Quae, ut sibi visum fuit, quandam gemmam pulcherrimam
eiusdem coronae
97. suo capiti inseparabiliter imprimebat.
98. Fuit praeterea sanctae et individuae trinitatis verissimus
amator, quod notabi-
99. liter probatur ex eo, quod quidam confrater suus, in aegritudine
positus, scholarem
100. suae religionis ministrantem sibi habuit, qui devotionis causa
opportunitate sibi prae-
101. stita monasterium introivit, et cum frequentius similia
similibus congaudeant, exsul-
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102. tanti animo vidit sanctum Ansverum contemplationi
devotissime insistere et demisso
103. capite imaginabiliter incedere, de quo idem minister fuit
plurimum emendatus, et bono
104. spiritu ductus audivit ipsum melodiam dulcissimam voce triplici
vocaliter et dulciter
105. decantare, nimiumque stupefactus celeriter appropiare cupivit,
ut, quos audivit,
106. tres inviseret, cum in eo sensus defecit certior; videlicet
quia solum vidit et tres
107. audivit.
108. Ex quo colligitur ipsum fuisse praecipui doctoris Augustini
fidelissimum imi-
109. tatorem, qui in trinitate tres personas et unam essentiam
praedicavit, quod soli deo
110. notum est et homini assumpto, sicut scribitur per eundem:
Trinitas sibi soli nota est.
111. Sanctus Abraham, sicut in genesi legitur, tres vidit et unum
adoravit. Hic mini-
112. ster unum vidit, tres audivit. Et sic uterque sanctae
trinitatis est professor, videli-
113. cet patriarcha trinitatis in unitate et minister unitatis in
trinitate. Et de hoc triplici
114. cantu solius personae sancti Ansveri congruenter perpende, quod
sicut aurora diei in
115. dulci conventu est auribus laetificativa, sic Ansveri vox
dulcisonans tripliciter
116. audita est suis confratribus et omnibus Christi fidelibus fidei
sanctae trinitatis praenun-
117. ciativa, sicut scribitur: Iustus meus ex fide vivit. Et alibi
in verbo sapientis: Iusti
118. recordatio est pigmenti compositio et dulcis ut mel et ut
musica in convivio vini.
119. Tandem dicti monasterii abbate mortuo fratres pro electione
novi patris
120. convenerunt et in dei nomine omnes unanimiter in Ansverum
concordarunt, et
121. est adimpleta visio, quam vidit in via sui introitus. Et haec
mutatio dextrae excelsi,
122. qua omnia tam in vita quam in morte sunt sibi in bonum
commutata. cum autem rem
123. et nomen boni pastoris est assecutus, rexit gregem sibi
commissum verbo et exemplo
124. videlicet virtutibus et sanctis operibus fide, spe et caritate.
Nam in fide imitatus est
125. sanctum Abraham, spe sanctum Simeonem, caritate ipsum dominum
notsrum le-
126. sum Christum, qui pepercit peccatoribus, ipsos patienter
tolerans et eorum poeni-
127. tentiam exspectans.
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128. Unde accidit, ut quendam monachum enormiter delinquentem
sanctus An-
129. sverus, abbas eius, pro suo delicto exigente iustitia corrigere
debuit. Ipse vero
130. attendens, quod iustitia virtus est, quae bene merentes
remunerat et malos punit,
131. iuxta quantitatem meriti poenam vel praemium recompensans,
secundum hoc timens
132. severitatem, ne nimium rigidus se extolleret contra
delinquentem, vel ne nimium le-
133. nis videretur fovere errantem, quid fecit? Oravit cum multo
interventu ad domi-
134. num, ut sibi dignaretur inspirare, quomodo errabundum
corrigeret, ne modum et
135. metam correctionis excedere videretur. Illico sensit abbas
Ansverus in signum cor-
136. reptionis et disciplinae virgam de sublimi allatam in manu sua
attrectabiliter se portare.
137. Is autem, qui deliquerat contra abbatem [et] suum superiorem,
proterviit
138. quasi minime curans suum excessum domino deo, prout fuit
condecens, emendare.
139. Ad capitolium tamen vocatus coram fratribus suum demeritum
exstitit omnibus
140. notoria propalatum. Qui audiens suos excessus et videns virgam
virtutis domini in
141. manu sui superioris in tantum est atteritus, quod mox quasi in
ictu oculi tantam
142. concepit contritionem et tam immensam portavit confusionem, et
per octo dies
143. condignam educavit satisfactionem et die nona in pace dei fine
optimo requievit.
144. Quo comperto abbas Ansverus orationem suam ad dominum mundo
corde diri-
145. gens iteravit, quid observandum placeret domino de virga sibi
miraculose ministrata.
146. Quae statim in candelam cera et lychno indutam est conversa et
in dicto monaste-
147. rio usque ad claustri eversionem est, ut dicitur, reservata.
Post haec dictus abbas
148. Ansverus cum XXVIII monachis circa annos domini millesimum et
cente-
149. simum vel amplius a paganis in monte non remote a monasterio
sunt
150. lapidati in die divisionis apostolorum, fide et constantia
sanctum Stephanum pro-
151. tomartyrem imitantes. [quorum passio in hunc modum legitur
peracta.]
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D. Kommentar.
Z. 1. Ansverus. Ans
Gott und ver Mann oder wer Wehre.
cf. Förstem. P. N. p. 111 u.
1258; also
„Gottesmann“ oder Gotteswehre“.
Z. 2. Oswald-Answald. Ans Gott u.
walt. cf. Förstem. P. N. p. 110
u. 1235; also „waltender Gott“.
Z. 2. Agneta. Ans Gottheit u.
geneda verlockend, bezaubernd. cf. Förstem.
P. N. p. 101 u. 510 u. 514; also „bezaubernde Gottheit“.
Die Alliteration der 3 Namen und ihre eigentümliche Bedeutung lassen
schwer daran glauben, daß sie für die Legende erdichtet worden sind.
Z. 5. inter Heydebo civitatem Juciae, quae nunc Sleswich
dicitur. Adam IV. c. 1 giebt als Grenze
zwischen Sachsen und Dänemark die Eider an. Schleswig heißt bei ihm
Sliaswic oder Heidiba; Helmold schreibt
dagegen wie hier Heidebo und Sleswich.
Das Scholion 82 zu Adam, welches unter ausdrücklicher Berufung auf
Adam wörtlich ins Schleswiger Brevier, Officium de sancto
Ansvero lect. I, aufgenommen worden ist,
lautet: Ipso namque tempore (1066) Sleswik, civitas Saxonum
Transalbinorum, quae sita est in confinio Danici regni,
opulentissima atque populosissima, ex improviso paganorum incursu
funditus est excisa. Unter Otto I. mag Schleswig sächsisch
gewesen sein, zur Zeit Adams war es dänisch und zwar gehörte es zu
(Süd-)Jütland, wie unsere Stelle ganz richtig angiebt. Die
Namensformen verweisen ihre Entstehung in die Zeit Helmolds, also um
1170.
Z. 10. Saepe solet filius similis esse patri. Citat
aus ?
Z. 10. Laetitia matris filius est sapiens. Citat aus
Proverb. 10,1 u. 15,20 (?) Filius sapiens patrem exhilarat
stultus filius matris suae maeror est.
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Z. 12. quasi perfectus vixit. Langebek hat quasi
perfectus vir. Daneben bietet er die Variante: qua
perfecte vixit. Der Kopenhagener Kodex hat qua
perfectus vixit. Perfectus wird von Du
Cange erklärt: Perfecti a se ipsi dicti olim Valentini
discipuli, ut testatur Irenaeus I. I. adv. hacret. c. 6 n. 4. „semet
ipsos extollunt perfectos vocantes et semina electionis“. Eodem
nomine gloriabantur haeretici recentiores Albigensium sectarii, qui
ct consolati interdum nuncupantur. Der Ausdruck konnte
allerdings nur zur Zeit der Albigenser verstanden werden. Hierin
liegt eine Zeitbestimmung für unser Schriftchen. Das Wort ist
übrigens z. B. Bernhard v. Clairvaux sehr geläufig. (†
1153)
Z. 13. vir simplex et rectus ac timens dominum et recedens a
malo Hiob cap. I, 1. qui vir integer, probus,
religiosus et a maleficiis abhorrens erat. Dagegen findet
sich dieselbe Stelle bei Bernhard v. Clairvaux in sermone de
donis spiritus sancti so citiert: de Job dicitur: vir timens deum et
recedens a malo. Unser Autor bediente sich also derselben
Bibelausgabe wie B. v. Clairv.
Z. 15. adoratos. Die Handschriften scheinen nur
adornatis moribus zu bieten. Die Notwendigkeit der Conjektur
liegt auf der Hand. Adorati ist wieder ein
Albigenserausdruck. cf. Du Cange, s. v. adorare – vox
usitatissima apud Albigenses pro salutare praesertim doctores et
doctrinae antesignanos. Es sind wohl alle Vorbilder des
Glaubens im alten und neuen Testament sammt den Kirchenvätern
darunter zu verstehen, wie bereits Hiob erwähnt ist und Abraham,
Simeon, sowie auch der heilige Augustin (praecipuus doctor
Z. 108) später erwähnt werden, als solche, die Ansverus nachgeahmt
habe.
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Z. 16. Es ist auffällig, daß kein Name für den Bruder des Ansverus
angegeben wird. Es wäre nicht unmöglich, daß ein Kolon, etwa
nomine Anshalmus – denn so würde ich vermuten – ausgefallen
ist.
Z. 17. Offenbar ist hier auf eine Wikinger- oder Reckenausfahrt
angespielt. Man denkt bei dem parentum domicilium deserens
unwillkürlich an: „Jung Siegfried war ein stolzer Knab“ u.s.w. Dies
ist der 2. schwache Anhalt für die Vermutung, daß die
Ansveruslegende sich anlehnt an ein sächsisches Heldengedicht.
Z. 19. Das Recht der Erstgeburt auf Nachfolge im Erbe, in Amt und
Würden wird hier als allgemeingültig angenommen.
Z. 24. avunculum. Mutterbruder. Die Reise geht etwa
von Rendsburg an südwärts. Danach scheint der Mutterbruder des
Ansverus als sächsischer Großer gedacht zu sein. Man thut also wohl
recht, zu glauben, daß der Autor auch des Ansverus Eltern als
Sachsen und Christen sich gedacht hat.
Z. 25. coenobium sancti Georgii martyris. Z. 147 wird
die Zerstörung des Klosters erwähnt. Der Wortlaut gestattet
anzunehmen, daß die Klosterkirche, das Münster, zur Zeit des
Verfassers der Schrift noch existierte. Z. 93 scheint dies zu
bestätigen. Die Fundationsurkunde des Stifts Ratzeburg von 1158
erwähnt die Kirche als bestehend: Damus etiam Raceburgensi
episcopo ... ecclesiam sancti Georgii IN Raceburg et ecclesias adhuc
IN INSULA fundandas.
Z. 25. in Racipolim. Diese Namensform nur hier allein:
Racepolis noch einmal bei einem Schriftsteller des
15.
Jahrhunderts: Wolter Chron. Bremense der übrigens die
besten Beziehungen zu Ratzeburg gehabt zu haben scheint und über das
Ansverusfest in Ratzeburg
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eine gute Nachricht giebt cf. unten Z. 150. Das i in der Form bürgt
für ihr Alter.
Z. 26. monachi ordinis sancti Benedicti. Cuper bemerkt
zu der Stelle: monachos vetusti illius coenobii Raceburgensis
ordinis Benedictini fuisse probabiliter argumentatur Mabillonius
Act. S.S. Bened. Sec. VI. P. II. p. 156. asserta horum actorum sic
confirmans. Die Glaubwürdigkeit des Autors zeigt sich auch
in dieser Nachricht, die ihm allein verdankt wird. Das Kloster St.
Georg war möglicherweise ein Tochterkloster von dem 1010 in
Harsefelde bei Stade gegründeten Benediktinerkloster, welches
gewisse Ansprüche an die Parochie St. Georg bis ins 13. Jahrhundert
geltend machte.
Z. 43. Jacobus in canonica sua: si quis autem haesitarerit.
Jac. I, 5 quod si quis vestrum sapientia caret postulet a deo, qui
omnibus plane donat nec’ exprobrat: et ei donabitur deckt
sich mit dem zu erwartenden Sinne.
Z. 46. quomodo fugeret dissolutiones et insolentias
faciendorum. Zu schreiben entweder facinorosoum
oder fazendariorum, Laienbrüder? Du Cange s. v.
officium monasticum, qui res et negotia monasterii curat. Ch. ann.
1220.
Z. 48. quae. Langebek: haec, der
Kopenhagener Codex quae. Alle Codices adimplens.
Z. 49. et interim se humiliavit ct. genua flexit? cf. Du Cange
s. v.
Z. 55. beatus Bernardus. Bernhard von
Clairvaux starb 1153. Dies ist die einzige Stelle in unserer
Schrift, wo ein heiliger Mann dieses Prädikat erhält, sonst immer
sanctus und zwar an 20 Stellen. Z. 11. 13. 16. 25. 26.
36. 74. 76. 81. 94. 95. 102. 111. 114. 115. 125. 128. 150. (Ansverus.
Hiob. Benedictus.
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Georg. Maria. Abraham. Simeon. Stephanus.)
Beatus ist der Seliggesprochene. Der Seliggesprochene
erlangte durch die Beatifikation erst die Anwartschaft auf die
Heiligsprechung. Die Kanonisation Bernhard von Clairvaux erfolgte
durch Papst Alexander III. im Jahre 1174. Zwischen
1153 und 1174
konnte mithin Bernhard richtigerweise nur als beatus
bezeichnet werden. Das ergiebt eine Zeitbestimmung für unser
Schriftchen. *)
Z. 56. verecundia cum sit virtus, sicut beatus Bernhardus in
libro de diligendo dominum dixit. In dem
sermo de diligendo deo Bernhards,
der nur gemeint sein kann, heißt es: Verecundia, quae cum sit
omnibus aetatibus, personis, temporibus et locis apta, tamen
adolescentes et iuveniles animos maxime decet. Der Verfasser citiert
also nach dem Sinne und wahrscheinlich also nach dem Gedächtnis.
Z. 59. didascalus cf. Z. 58 rector u. Z.
44
senior ebenso 67, 68 und
85 seniori didascalo. cf. Du Cange s. v. seniores – monachi duo
aetate provectiores ac vitae probitate insignes, quibus praesente
vel absente abbate omnium fratrum disciplina et omnis cura
monasterii pertinebat. cf. Z. 67, 85 u. 87. absente abbate.
Z. 61. melior est vir patiens viro forti et qui dominatur animo suo
expugnatore urbium. Proverb XVI, 32. praestantior est lentus quam
fortis et qui animo suo imperat quam qui urbem capit. cf. Z.
13.
Auch hier ist wohl anzunehmen, daß der Bibel-Text, der dem Autor
bekannt war, ein anderer war, als sich jetzt in unsern lateinischen
Bibeln findet.
____________________
*) Zu beachten ist, daß das 2. Kap. der acta den Ansverus ganz
consequent als beatus bezeichnet. Dies ganz allein würde schon
genügen, um die Schrift einem andern Verfasser zuzuweisen.
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Z. 71. quis enim speravit in domino et derelictus est.
Citat aus Sir. 2,11.
Z. 74. Sanctum Johannem eremitam. Der Kopenhagener
Codex hat evangelistam. Johannes der Evangelist ist
neben der h. Maria Patron des Stifts Ratzeburg. Gleichwohl dürfte
eremitam das ursprüngliche sein. Der Einsiedler Johannes,
welcher um 400 in Ägypten lebte, kann nicht gemeint sein; vielmehr
Iohannes baptista cum in eremo esset. Diesen nennt z.
B. Bernh. v. Clairv. in seinem sermo de Joanne
baptista: factus forma vitae monachorum propositum, anachoretarum
principium. Seine Erscheinung bedeutet hier also, daß
Ansverus ein Mönch ist, der sich des Beifalls dieses Ur- und
Vorbilds aller Mönche erfreut.
Z. 80. cum manibus tangentem coronam capitis sancti Ansveri.
Das Lübecker Passional von 1507 übersetzt: dat (das
Kind) hadde ene kronen an synen henden, he settede id Sunte
Ansvero up syn houet. Diese Thorheit ahmt Becker a. a. O.
p. 6 nach. Natürlich ist die corona clericalis,
die Tonsur, gemeint. cf. Du Cange s. v. Es ist zu
beachten, daß die Sitte der Handauflegung speciell der Sekte der
Waldenser oder Katharer angehörte. Die Bezeichnung dafür ist
consolamentum oder consolatio. Du Change
s. v. ceremonia qua aliquis inter Catharos admittebatur. Sie
wurden davon geradezu consolati genannt. Du
Cange s. v. ita (consolatos) dictos Valdenses haereticos, quod
consolamentum seu consolationem – quo nomine namuum impositionem et
baptismum appellabant – suis impertirent.
Z. 84. angelis suis ..... Ps. 91,11. Nam de te
suis mandabit angelis ct. Matth. 4,6.
Scriptum est enim: angelis suis mandabit. Ebenso Luc. 4,10.
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Also auch hier scheint der Verfasser zwar nach einem andern Text,
aber richtig zu citieren.
Z. 86. coram abbate et capitulo. cf. Z.
139 ad
capitolium vocatus. capitulum ist die Mönchsversammlung,
capitolium der Versammlungsraum.
Z. 86. inculpatus. Die Ellipse von est
ist natürlich möglich, cf. Z. 15; indessen scheint, nach Z.
90 zu
urteilen, ein Kolon irgendwo ausgefallen zu sein. Ich möchte daher
schreiben: delatus et pro suis .... inculpatus ab officio
sacerdotali remotus est.
Z. 88. acrem poenitentiam. Die alten
Benediktinerregeln unterscheiden 7 Arten der Pönitenz. ap.
Mabill. tom. 4 anal p. 461.
Z. 105. Die Codices haben cupiens statt cupivit.
Z. 106. Statt cum in eo dürfte cum
interea zu schreiben sein.
Z. 109. Augustin de civit. die lib. XI c. 24.
Z. 110. trinitas sibi soli nota est. Das Citat ist
nicht aus Aug. de civ. dei entnommen.
Z. 111. Genes. cap. XVIII 1
und 2.
Z. 113. aurora diei. Die Frühmesse. Noch jetzt heißen
in der katholischen Kirche Geistlich welche verpflichtet sind oder
waren die Frühmesse zu lesen, Auroristen.
Z. 117. iustus meus ex fide vivit. Bernh. v. Clairv. in serm.
de verbis libri Sapientiae: est iustus qui ex fide vivit. cf.
Habac. 2,4. Röm. 1,17. Gal. 3,11. Ebr.
10,38.
Z. 118. iusti recordatio est pigmenti compositio et dulcis ut
mel et ut musica in convivio vini. Das Citat stammt aus Sir.
49, 1 u. 2. Iosiae memoria quasi quaedam suffiminis compositio
confecti arte unguentarii in omnium ore dulcis est ut mel aut ut
musica in vinoso convivio. Der Sinn ist, daß der Ruhm des
Ansverus dazu mitwirken wird, daß Wunder bei allen Gläubigen als
eine Verkündigung der
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Trinität gelten zu lassen. Die ganze Betonung der
Trinitätsgläubigkeit des Ansverus hat bloß in einer Zeit Sinn und
Zweck, in welcher in dieser Beziehung Häresien auftreten. (Die
Breviarien ignorieren deshalb auch diesen Zug der Legende.) Den
Waldensern wurde nun, besonders nach dem Concil von 1173, wo sie
ihre Lehre hatten präcisieren müssen, allgemein, wiewohl mit
Unrecht, der Vorwurf gemacht, daß sie die Trinität leugneten. Der
Albigenserstreit kann als abgethan gelten schon in den dreißiger
Jahren des 13. Jahrhunderts. Auch hieraus ergiebt sich ein Anhalt
zur Zeitbestimmung des Schriftchens.
Z. 120. cf. Z. 27 ff.
Z. 130. iustitia virtus, quae bene merentes
u.s.w. scheint Citat zu sein. Ähnliche Aussprüche finden sich
zahlreich in Bernh. v. Clairvaux Schriften.
Z. 136. virgam de sublimi allatam cf. Z. 140 virgam virtutis
domini. Um Ostern des Jahres 1066 erschien am Himmel ein
furchtbarer Komet cf. Adam l. III. c. 50 in fine,
welcher alles Unheil dieses Jahres vorauszuverkünden schien. Die
Kometen werden als Ruten des Zornes Gottes bezeichnet. Es ist
offenbar, daß die Tradition von dem Erscheinen des Kometen im Jahre,
wo Ansverus den Märtyrertod erlitt, sich mit der Legende in der hier
gegebenen Form verschmolzen hat.
Z. 137. suum superiorem, proterviit. Langebek hat
suum rigorem protrivit. al. praeterivit. Der Kopenhagener
Codex hat statt protrivit – pro crimine, aber in
margine superiore: protervivit. Offenbar ist das von
Tertullian gebrauchte seltene Wort protervire
herzustellen und die Heilung der Stelle in der angegebenen Weise zu
versuchen. Das Wort protervire findet sich auch in
einem Briefe Kaiser Rudolf von 1276.
Z. 140. notoria propalatum. Der Kopenhagener Codex hat
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protelatum, was schwerlich richtig ist. notorie,
wie die Handschriften bieten, scheint nicht zu existieren; es wird
also zu schreiben sein notoria (libello
accusatorio), namentlich wegen des folgenden: QUI AUDIENS. Es tritt also ein wirkliches Gerichtsverfahren ein.
Z. 141. superioris cf. die Conjektur zu Z.
137.
Z. 142. statt et per octo dies ist sicher zu schreiben
quod. cf. Z. 139 in tantum est atteritus, quod u. Z.
90 sic sunt attoniti, quod – vix evaserunt. Z 54 u.
49.
Z. 147. ut dicitur weist auf mündliche Tradition hin;
cf. das zu Z. 136 Gesagte.
Z. 148. cum XXVIII monachis. Die Bildertafel mit der
Ansverusgeschichte in der Ratzeburger Domkirche und die
Lauenburgische Kirchenordnung von 1585 geben 18 Mitmärtyrer des
Ansverus an. Zwei, Johannes und Volkwin sind im 2. Teil der Legende
namentlich angeführt. Die Breviarien geben die Zahl 28. Es ist ein
müssiger Streit, ob diese oder jene Zahl richtig ist. Vielleicht ist
28 die Maximalzahl der Conventualen eines Benediktinerklosters;
unmöglich wäre er aber nicht, daß die Zahl historisch ist. Dem
Verfasser kann ein Totenbuch des Mutterklosters vorgelegen haben.
Z. 148. circa annos millesimum et centesimum vel
amplius. Dieser Parachronismus ist erklärlich erstens, wenn
man amplius mit „oder früher“ übersetzt, 2. wenn man
bedenkt, daß nur eine ohngefähre Zeitbestimmung gegeben werden soll.
Z. 149. in monte non remote a monasterio. in monte
heißt nicht auf einem Berge – man würde dann remoto
erwarten – sondern auf dem Berge im Gegensatz zu in insula cf.
oben Z. 25. Im Ratzeburger Zehntenregister von
1230 heißt es
bei der Parochie St. Georg: ad omnia allodia in monte ct.
Natürlich konnte sich so nur ein in der Inselstadt Ratzeburg
wohnender
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ausdrücken. St. Georg wird als Ratzeburg (in monte)
bezeichnet bis 1285. – Die Lauenburgische Kirchenordnung vom Jahre
1585 deutet an (p. 222. fol. 245.), daß man damals den
Ort der Steinigung noch zu kennen glaubte und ihn zeigt. Das
Ansveruskreuz bei Buchholz stammt aus der Mitte des 15.
Jahrhunderts.
Z. 150. lapidati. Schon Adam behauptet, daß Ansverus
mit den Seinen gesteinigt worden sei. Diese Tötungsart ist sehr
auffällig und dürfte bereits legendarisch sein, um so eher als die
Vergleichung mit dem Protomartyr Stephanus schon in den öfter
genannten Scholion 80 zu Adam gezogen ist. Ein 2. Grund für die
Steinigung liegt vielleicht in der Anlehnung der Ansveruslegende an
die deutsche bezw. nordische Helden- und Göttersage. Wir denken an
die Baldermythe. Auffällig ist auch noch, daß die Lauenburgische
Kirchenordnung a. a. O. die Steinigung des Ansverus den Sachsen
zuschreibt.
Z. 150. in die divisionis apostolorum. Wolterus in Chron.
Bremensi ap. Meibom II p. 43 (er schrieb im 15. Jahrhundert)
berichtet: quorum (Ansveri et aliorum) festum celebrat
ecclesia Racepoli ipso die Arnulfi propter alia fest intervenientia
in eadem ecclesia. Et de illis martyribus sic canit ecclesia: Pro
nomine Christi digni inventi sunt isti hic pati cum consortibus,
quos triumphans in patria nunc qossidet ecclesia augentes caelum
fortibus. Der dies Arnulfi ist der 18., der
dies divisionis apostolorum ist der 15. Juli. (Auf den
18. Juli fällt der Ratzeburger Sommermarkt).
Z. 151. quorum passio in hunc modum legitur peracta.
Der Kompilator beruft sich hier auf eine schriftliche Fixierung der
passio, die er im 2. Kapitel wiedergiebt. Da nun im
2. Kapitel
Vorgänge aus dem
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Jahre 1329 erwähnt werden, so stammt die Kompilation, da ja die
Kopenhagener Handschrift noch demselben Jahrhundert angehört, aus
einem nicht viel späteren Jahrzehnt. Die Überschrift des 2. Kapitels
lautet im Kopenhagener Codex: sequitur de eius passione in
speciali. Der wirklich alte Bericht von der Steinigung des
Ansverus ist verloren gegangen und wahrscheinlich gerade dadurch,
daß der Kompilator an Stelle des kurzen Berichts, jene
ausführlichere Beschreibung, die das 2. Kapitel bietet, setzte.
____________________
ZUSÄTZE.
1. Dem Kompilator wird wahrscheinlich noch ein kleines Vorwort
verdankt, mit den unser Schriftchen im Kopenhagener Codex nach dem
Rubrum: Passio Sancti Ansveri beginnt und welches sich
mit dem Namen des Ansverus und seiner beiden Hauptmitmärtyrer,
Johannes und Volkwin beschäftigt. Durch die Güte des Herrn Direktors
der Königl. Bibliothek in Kopenhagen, Herrn Bruun, bin ich imstande
dieses Stück der Handschrift hier mitzuteilen:
Ansverus dicitur ab ana, quod est sursum et sequens verum,
quasi sursum verum sequens. Vel Ansverus dicitur superiorem sequens
veritatem, de quo Iohannes ait: Ego sum via, veritas et vita. Hanc
viam s. Ansverus assecutus est in pueritia, veritatem in religione,
sanctam vitam post mortem suam, nunc in aeterna gloria. Iohannes
interpretatur gratia dei vel in quo est gratia, qui gratuitu gratia
et bona fama huius vitae mortem cum prothomartyre meruit preciosam.
Volquinus interpretatur volens et quinus quasi voluntatem habens ad
quinque scilicet meditationem quinque vulnerum Christi, vel ad
quintuplicem denarium, de quo Augustinus in libro de civitate
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dei sic dicit: Quid hoc quintuplici denario emit sive comparat
sibi scilicet paupertate regnum, dolore gaudium, labore requiem,
ignominia gloriam. Quid hi simul tres sancti cum ipsorum sociis sunt
fideliter et constantes assecuti.
2. Sanctus bedeutet, wie bereits erwähnt (cf.
zu Z. 55), einen kanonisierten Heiligen. Die Kanonisation wurde
1170
von Papst Alexander III. für ein ausschließliches Vorrecht der
Päpste erklärt. Es erwuchsen daraus nämlich ganz bedeutende
Einnahmen. In früheren Zeiten muß die Heiligsprechung auch durch
andere geistliche Würdenträger möglich gewesen sein. Nun berichtet
Wolter a. a. O.: Et illos martyres (Ansverus et eius socios)
Adalbertus fecit canonisari per quendam sufraganeum in Raceborg,
annuente sibi apostolico et sacro approbante concilio (indem
eine päpstliche Bulle ihm zustimmte und die heilige Synode [der
Diöcese] es billigte). Et canonisatione completa episcopus
Raceburgensis misit bracchium sancti Ansveri ad monasterium beatae
Mariae virginis extra muros Stadenses. Wir haben es hier mit
einer durchaus glaubhaften Notiz zu thun. Adalbertus
ist der Erzbischof von Hamburg 1123-48. Da zu seiner Zeit noch kein
Bischof von Ratzeburg existierte (erst seit 1154), so mußte wohl
gerade deswegen die Kanonisation durch einen auswärtigen
Suffraganbischof vorgenommen werden. Diese Heiligsprechung en
masse würde also zwischen 1142, wo Heinrich von Bodwide in
das Land kam, und 1148 fallen.*) Aus dieser Masse wurden später die
drei, Ansverus, Johannes und Volquin ausgehoben. Dies vielleicht
erst um 1329.
Im 2. Kapitel der Legende wird nun ferner erzählt, und es ist das an
sich so wahrscheinlich, daß man es selbst
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*) Veranlassung dazu konnte z. B. der Wendenkreuzzug von 1147
bieten.
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diesem Autor glauben muß, daß der 1. Bischof von Ratzeburg, Evermod,
die Reliquen des Ansverus aus der Gruft des Klosters St. Georg, in
der sie ruheten, nach der Ratzeburger (Kathedral-) Kirche, habe
bringen lassen und zwar mit großen Feierlichkeiten, an welchen
Scharen von Geistlichen und Laien teilnahmen.*) Dazu stimmt nun die
oben aus Wolters bremischer Chronik angegebene und auch sonst
bezeugte Schenkung eines Armes des h. Ansverus an das Stader
Marienkloster.
Die Translation der Gebeine des Ansverus (oder die man dafür hielt)
kann nur etwa stattgefunden haben in
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*) Beati vero Ansveri corpus, ... in quadam crypta saxea
monasterii, quod ipse inhabitaverat, condiderunt. Quadam autem vice,
cum caecus quidam causa orandi dictam cryptam subintrasset, tangens
sepulcrum beati martyris, super ipsum expansis manibus corruit et
pronus adorans in terra meritis beati martyris visum recepit.
Collatam igitur sibi gratiam celare prae gaudio non valens ipsam
venerabili patri, domino Evermodo, primo Raceburgensi episcopo
retulit, qui mira devotione sociatis sibi tam nobilium quam
plurimorum clericorum et laicorum agminibus dicti martyris corpus
effodit et in ecclesiam Raceburgensem transtulit gloriose.
Eine andere Stelle führt Cuper noch aus dem von ihm weggelassenen
Appendix an. Da das Lübecker Passional diese Version aber auch nicht
kennt, scheint es sich um einen BESONDEREN Appendix zu handeln. Die
Stelle lautet: Accidit autem, quod cum dies et hora
transvectionis huius, sicat solitum est, divulgata esset, quidam
caecus, optans sibi spem consolationis, cupivit anticipare tempus
exhumationis reliquiarum sancti Ansveri – accessit ad coemiterium
sancti Georgii lento passu, velut caeci solent, - segniter incedens
venit prope tumulum eius, pedem graviter impegit in lapidem
epitaphii sancti martyris, et prae dolore angustiatus iacuit semi
immobilis in loco offensionis flens et eiulans oravit dominum
dicens: o domine Iesu ct ... Illico oculi eius aperti sunt, laudaus
et benedicens dominum Iesum Christum. Tunc continuo, ut praedictum
est, dominus episcopus affuit et per ordinem singula pro sanctarum
reliquiarum reverentia honorifice consummavit. Der
eigentümlich zerhackte Stil, das besonders schlechte Latein, die
Bezeichnung des Ansverus als sanctus zeigen, daß
dieses Stück in der That einem 3. Autor angehört.
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den Jahren zwischen 1160 und 1170; denn vor
1160 hat der Kirchenbau
nicht begonnen; er mußte doch aber bis zum Notdach gediehen sein,
ehe man dergleichen Feste veranstalten konnte. 1179 starb Evermod;
vollendet ist der Dom wahrscheinlich erst 1181.
L. Hellwig. Dr.
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